Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

Weihnachten 1914 aus dem östlichen Kriegsschauplatz 143 
reif jeden Ast, jeden Zweig und jedes grüne Nüdelchen, so daß der Baum im Kreise seiner 
von der Natur ebenso geschmückten Gefährten gar festlich aussah. Eins nur fehlte diesem 
Weihnachtsbaume, und das war der leuchtende Glanz der Kerzen. Doch auch der sollte 
als letzter Schmuck, wie mir der Bataillonskommandeur erzählte, am Tage des Christ 
abends dem Bäumchen noch zuteil werden. Freilich einen Christabend wird man dort 
ebensowenig wie an anderen Stellen in der ersten Gefechtslinie haben feiern können; 
man mußte die Wechnachtskerzen schon bei Tage anzünden, um nicht durch ihr Brennen 
in der Dunkelheit den pfeifenden Gesang feindlicher Geschosse, die gerade den Weihnachts 
baum als Ziel nehmen könnten, herbeizulocken... 
In den Wäldern Nordwe st Polens, in manchem ärmlichen Dorfe Kujaviens, 
hinter mancher Erdwelle, die sich landein zieht, auf deren Höhe ein deutscher Schützen 
graben entstand, und in deren Deckung Regimenter, ja ganze Armeen ihre Unterstände 
errichteten, ist ebenfalls Feldweihnacht gefeiert worden. Es war den Truppen nicht 
immer möglich, sich ihrer Weihnachtsgaben in so idyllischer Umgebung zu erfreuen, wie 
ich sie eben schilderte. Und manch einer, der an diesem Tage im Kreise seiner Kameraden 
saß und mit ihnen zusammen nach Deutschland zurückdachte, schläft nun schon unter einem 
kleinen Hügel als Held den letzten langen Schlaf..." 
Auch die ö st erreicht sch-ungarischen Truppen feierten allüberall an der 
Front das Weihnachtsfest in gleicher Herzlichkeit. Ein Kadett einer reitenden Artillerie 
division, die an den Kämpfen von Limanowa beteiligt war, erzählt davon im „Wiener 
Tageblatt": „Wir wollten den Weihnachtsabend nicht ohne Christbaum begehen, daher 
holten wir uns ein Tannenbäumchen aus einem der nahen Wälder und verschafften ihm 
einen festen Stand durch Einpflanzen in einen mit Erde gefüllten alten Blechtopf. Das 
Bäumchen hatten wir, aber nun sollte es auch geschmückt werden. Als Lichterschmuck 
trug unser Bäumchen sechs kleine Kerzenstückchen, dann nahmen wir Schrapnellentkap- 
pungen, gossen in diese etwas Geschützöl — Wattepfropfen dienten als Dochte — und so 
hatten wir die Lichtquellen für das Bäumchen geschaffen. Dann behingen wir es mit Ket 
ten aus Zeitungspapier. Gedörrte Pflaumen wurden auf Zündhölzchen gesteckt, einige 
Stückchen Würfelzucker und ein paar Zigaretten mit Bindfaden versehen, und der Christ 
baumschmuck war fertig. Und jetzt sitzen wir um unsern Christbaum herum und freuen 
uns über ihn, wie wenn er mit eitel Gold und Silber und Demelbäckerei behängen wäre, 
und denken an die lieben Angehörigen in der Ferne und an die Kameraden, die eben 
jetzt im Dunkel der Nacht mit dem Feinde neuerlich einen heißen Strauß ausfechten. 
Den Weihnachtsbraten lieferten zwei Truthennen, die wir vor einigen Tagen dank 
der geradezu phänomalen Findigkeit unserer Offiziersdiener in diesem leergegessenen 
Lande kaufen konnten und für den heutigen Abend sorgsam aufhoben. Das Weihnachts 
mahl schmeckte uns ganz vorzüglich, nur zu trinken hatten wir nichts als einen sehr 
blassen Tee ohne irgendeine Zutat. Dann kamen die letzten aufgesparten Zigaretten 
daran, bei deren Duft wir die letzten Briefe aus der Heimat lasen. 
Plötzlich hören wir leise Schritte, so leise man eben mit schweren Kriegsstiefeln gehen 
kann, und bald ertönt in polnischer Sprache, von unseren braven Kanonieren gesungen, 
das „Stille Nacht, heilige Nacht". Wunderschön sangen die braven Leute — man hörte 
geschulte Stimmen aus dem Gesang hervorklingen. Als das Lied zu Ende war, stimmten 
sie machtvoll unser herrliches „Gott erhalte" an, in das wir begeistert einfielen. Von 
dem wenigen, was wir noch hatten — denn die aus der Heimat so sehnsüchtig erwarteten 
Weihnachtsgaben sind noch immer nicht eingetroffen —, beschenkten wir die braven 
Kanoniere. Sie kehrten hocherfreut zu ihren Posten zurück. Die Lichter auf unserem 
Bäumchen verlöschten dann langsam eines nach dem andern. Aber wir saßen im Dunkeln 
noch lange, und waren mit unseren Gedanken weit weg..."
	        
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