Volltext: Der Völkerkrieg Band 3 (3 / 1915)

Weihnachten 1914 auf dem östlichen Kriegsschauplatz 141 
Einfall der Russen dort bleiben mußte, sechs Kinder im Alter von ein bis dreizehn 
Jahren weggeschleppt. Drei Monate in Ungewißheit über das Schicksal seiner Kinder 
zu sein und dann die Gewißheit zu erhalten: sie sind dahin, wahrscheinlich auf Nimmer 
wiedersehen — ist das nicht herzzerreißend!... 
Dabei ist in der Wirtschaft auch nicht eine Stecknadel von den Russen belassen worden. 
Bei dem plötzlichen Einfall des Feindes haben viele eilig die Flucht ergriffen, ohne dabei 
Zeit zu haben, die der eisigen Witterung entsprechende Kleidung mitnehmen zu können. 
Ein Arzt erklärte, in dieser Kriegszeit wäre ihm die schmerzlichste Pflicht die gewesen, 
daß er zwei jungen Mädchen, die mit ihrer Mutter im tiefen Schnee meilenweit geflohen 
und die Beine völlig erfroren hatten, diese amputieren mußte. Bei Schmallening- 
ken hat eine Anzahl Bewohner im Wälde Zuflucht gesucht. Während der strengen 
Kälte haben sie in Erdhöhlen gehaust, sie haben unmenschlich ausgesehen, als sie 
wieder ans Licht kamen... Das Unglück ist furchtbar. Zehn große Kirchengemeinden, 
die ganze Gegend nördlich der Memel von Schmalleningken bis zur Tilsit—Memeler 
Eisenbahn sind von ihm betroffen." 
Weihnachten auf dem östlichen Kriegsschauplatz 
Die Gedanken aller Deutschen weilten an Weihnachten 1914 bei den deutschen Heeren, 
die in unvergleichlicher Tapferkeit in blutigen Schlachten die deutsche Scholle und den 
deutschen Herd vor feindlichem Einfall beschirmten. Die Liebestätigkeit setzte mächtig ein 
und auch nach O st e n eilten Züge und Automobilkolonnen mit zahllosen Liebesgaben. 
Die Offiziere feierten Weihnachten an der Ostfront wie im Westen mit ihren Soldaten in 
innigster Gemeinschaft schlicht als deutsches Familienfest. Die dem Tode gemeinsam ins 
Auge sahen, stimmten auch gemeinsam im Ausblick zu dem im Lichterglanz erstrahlenden 
deuffchen Tannenbaum aus einsamer Wacht in Feindesland die treudeutschen Weisen 
unserer Weihnachtslieder an. Ueberaus anschaulich schildert das Ernst von Wolzogen 
in einem, im „Berliner Tageblatt" veröffentlichten Feldpostbrief aus einem Schützen 
graben in Ostpreußen. Er schreibt: „Weihnachten im Felde. Der Feind 1800 Meter 
vor unserer Stellung. Am 24. Dezember von morgens an große Unruhe; Berge von 
Weihnachtsgaben schleppt uns die Post in den Schützengraben. Die wackeren Land 
stürmer packen ihre Herrlichkeiten mit zufriedenen Mienen aus und studieren die Briefe 
ihrer Lieben. Da kommt Befehl: Es ist erhöhte Gefechtsbereitschaft einzuhalten, denn 
sicherem Vernehmen nach bereitet der Russe, im Vertrauen auf unseren Fest- und Grog 
rausch, einen allgemeinen Nachtangriff vor. Kein Feuer, keine Rauchentwicklung sei zu 
dulden. Jedermann müsse seine 250 Patronen am Leibe tragen. Ich entschließe mich 
dennoch, meiner Kompagnie die verheißene Festseier Nicht vorzuenthalten. Ich lasse also 
das Los ziehen, wer während der Feier im Graben Posten stehen muß, und dann um 
4 Uhr, mit Einbruch der Dunkelheit, die ganze Kompagnie in einer Bodenfalte hinter 
der Front antreten. Den ganzen Tag über hatte ich keine ruhigen fünf Minuten ge 
funden, um mir zu überlegen, was ich den Leuten sagen sollte. Aber die wunderbare 
Eigenart der Lage brachte mich in die rechte Stimmung, und ich sprach zu dem dunklen 
Schattenwall im Kreise um mich herum unter anderen folgende Worte: „Kameraden, 
wir feiern heute unsere Wechnachten unter Umständen, wie sie hoffentlich keiner von uns 
je wieder erleben wird: fern von unseren teuren Angehörigen, von unseren frohen Kin 
dern zumal, im eigenen verwüsteten Vaterlande, dem Feinde dicht gegenüber, der uns 
unsere Festfreude mit Kugeln zu würzen und den ersten Christtag mit Kanonendonner 
einzuläuten gedenkt; aber deswegen wollen wir doch die Köpfe nicht hängen lassen und 
Trübsal spinnen, sondern vielmehr uns stolz aufrecken und unser Fest der Freude feiern.
	        
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