Volltext: Kommentar zu den deutschen Dokumenten zum Kriegsausbruch (5 / 1920)

Neutralität Englands (Weißbuch Nr. 373, Blaubuch Nr. 85). 
Dieser Schritt erfolgte ohne Kenntnis der Erklärung Greys an 
Lichnowsky, England werde im Fall eines europäischen Kon¬ 
fliktes nicht neutral bleiben (Weißbuch Nr. 368). Er zeugt von 
einer so weit gehenden Verkennung der tatsächlichen Haltung 
Englands, daß man selbst unter Berücksichtigung der Irreführung 
durch London annehmen könnte, daß die russische Teilmobil¬ 
machung an diesem Abend eine gewisse Kopflosigkeit zur Folge 
hatte. Um so bemerkenswerter ist es, daß keine militärischen 
Maßnahmen von Bedeutung angeordnet worden sind. 
Ebenfalls an diesem Abend gingen eine Reihe der oben be¬ 
sprochenen Mahnungen zum Einlenken nach Wien (Weißbuch 
Nr. 377, 384, 385, 395, 396). Ebenso die Mitteilung nach Peters¬ 
burg und London, daß deutscherseits die Vermittlung weiter 
betrieben werde (Weißbuch Nr. 392, 393, 397). 
Ferner wurde das Ultimatum an Belgien in einem verschlosse¬ 
nen Umschlag nach Brüssel gesandt (Weißbuch Nr. 375, 376). 
Es sollte hier gewissermaßen auf Eis liegen. Die Regierung be¬ 
hielt es in ihrer Hand, diesen Erlaß zurückzuziehen, ohne daß 
sein Inhalt auch nur zur Kenntnis des Gesandten gelangte, wenn 
der Lauf der Ereignisse sich günstig entwickelte. Dieses Ulti¬ 
matum ist bereits am 26. Juli von Moltke entworfen worden. 
Es gehörte offensichtlich zu den Mobilmachungsvorbereitungen 
des Generalstabs. Wie wenig das Auswärtige Amt auf einen 
Krieg gerüstet war, sieht man daran, daß es seinerseits keine Vor¬ 
bereitungen für einen Durchmarsch durch Belgien getroffen hatte 
und auch in den folgenden Tagen bei den Verhandlungen mit 
London niemals auf die frühere Haltung Englands in dieser Frage 
hingewiesen hat. Infolgedessen konnte die englische Regierung 
die Verletzung der belgischen Neutralität als Hauptgrund für ihren 
Eintritt in den Krieg hinstellen. 
Am 29. Juli wurde ferner ein Telegramm nach Kopenhagen 
gesandt, das die Möglichkeit eines europäischen Krieges vorsieht 
(Weißbuch Nr. 371), ebenso wie eine Weisung nach Stockholm 
vom 30. Juli (Weißbuch Nr. 406). Dagegen wurde auf die Bitte 
des rumänischen Gesandten, rechtzeitig von dem etwaigen Eintritt 
des Bündnisfalles verständigt zu werden, nichts veranlaßt (Wei߬ 
buch Nr. 351). Vielmehr wurde dem König Carol nahegelegt, 
im Sinne des Friedens auf Petersburg einzuwirken (Weißbuch 
Nr. 389). Erst in einem Telegramm an den König vom 31. Juli 
appellierte der Kaiser an Rumäniens Vertragstreue (Weißbuch 
Nr. 472). Tatsächlich ist aber schon am 30. Juli nicht mehr auf 
Rumänien gerechnet worden (vgl. Weißbuch Nr. 456). 
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