Volltext: Kommentar zu den deutschen Dokumenten zum Kriegsausbruch (5 / 1920)

Dieser Schritt der deutschen Regierung begegnete in London 
keinem Entgegenkommen. Die englische Regierung war inzwischen 
von ihrem ursprünglichen Standpunkt der Nichteinmischung 
abgegangen und wünschte die Regelung des österreichisch-serbi¬ 
schen Konfliktes im Wege einer Botschafterin„iferenz in London 
herbeizuführen. Das einzige bekannte Telegramm, das Grey 
am 26. und 27. Juli nach Petersburg richtete (Blaubuch Nr. 47), 
enthält keinerlei Rat zur Mäßigung (siehe auch Weißbuch Nr. 218, 
236). 
In Paris fand dagegen der deutsche Vorschlag zunächst eine 
günstige Aufnahme. Der deutsche Botschafter meldete unter 
dem 26. Juli: 
„Der stellvertretende Minister der auswärtigen Angelegenheiten ver¬ 
sicherte mir, daß unser Appell an Solidarität des Bestrebens um Friedens¬ 
erhaltung hier ungemein wohltuend berühre und gebührend beachtet werde. 
Er für seine Person sei gern bereit, in Petersburg beruhigend einwirken zu 
lassen, nachdem durch österreichisch-ungarische Versicherung, daß keine 
Annexion beabsichtigt, Vorbedingung geschaffen sei. Er könne mir aller¬ 
dings noch nicht förmliche Erklärung namens der französischen Regierung 
über Modus der Einwirkung geben, da er zunächst mit abwesendem Minister¬ 
präsidenten ins Benehmen treten müsse...“ (Weißbuch Nr. 235). 
Diese günstige Ausnahme verwandelte sich jedoch nachträg¬ 
lich in ihr Gegenteil. Der Schritt des deutschen Botschafters ist, 
ebenso wie der vom 24. Juli, im Gelbbuch (Nr. 56 und besonders 
Nr. 57, 61, 62) entstellt wiedergegeben und verdächtigt worden. 
Die französische Regierung gab vor, der deutsche Vorschlag 
gemeinsamer Tätigkeit zur Erhaltung des Friedens sei ein Ver¬ 
such, Frankreich einzuschüchtern (Orangebuch Nr. 29), Frank¬ 
reich und Rußland zu veruneinigen und Rußland dadurch blo߬ 
zustellen, daß die französische Regierung zu Vorstellungen in 
Petersburg verleitet würde (Orangebuch Nr. 35). 
In Petersburg hatten die deutschen Mahnungen anscheinend 
Erfolg. Sasonow versicherte den deutschen Botschafter seiner 
Friedensliebe: 
„Minister bat mich, Euerer Exzellenz für beide Mitteilungen, die einen 
sehr guten Eindruck machten, zu danken und dabei zu versichern, daß der 
Appell an unsere altbewährten guten Beziehungen warmen Widerhall bei ihm 
findet und ihn tief rührt. Euere Exzellenz könnten versichert sein, daß Ru߬ 
land das Vertrauen in seine Friedensliebe nicht täuschen werde. Er sei bereit 
in seinem Entgegenkommen gegen Österreich bis zur Grenze zu gehen und 
alle Mittel zu erschöpfen, um Krisis friedlicher Lösung entgegenzuführen.“ 
(Weißbuch Nr. 282.) 
Die russischen Kriegsvorbereitungen wurden aber, wie sich 
bald heraussteilen sollte, unverändert fortgesetzt. Am 27. und 
28. Juli liefen zahlreiche Meldungen über Mobilmachungsma߬ 
nahmen in allen Teilen Rußlands ein. Sogar in Kowno wurde der 
Kriegszustand erklärt (Weißbuch Nr. 264).
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.