Volltext: Kommentar zu den deutschen Dokumenten zum Kriegsausbruch (5 / 1920)

Vorgehen ausbedungen hat. Gewiß, der Hochmut und die Emp¬ 
findlichkeit der Hofburgkreise waren ungeheuer. Auch werden 
diese Wiener Herren wohl geltend gemacht haben, daß sie sich 
auf Balkanfragen besser verstünden und schon Ruhe schaffen 
würden, wenn man ihnen nur freie Hand ließe. Das genügt aber 
nicht als Erklärung. Entweder schenkte man in Berlin der Wiener 
Regierung ein unbegreifliches und ganz unverdientes Vertrauen, 
oder man sah den Bundesgenossen als so schwach an, daß sein 
größter Aufwand an Energie nur eben dem gedachten Zweck 
genügen werde. Frühere Erfahrungen mögen auch gelehrt haben, 
daß man am Ballhausplatz wohl gerne große Worte machte, denen 
aber nicht die entsprechenden Taten folgen ließ. Tatsächlich 
war ja auch zuerst von einer völligen Aufteilung Serbiens die 
Rede (Weißbuch Nr. 18), während schließlich aus eigenem Antriebe 
Verzicht auf Annexionen ausgesprochen wurde — wenigstens 
Berlin gegenüber (Weißbuch Nr. 94). Auf jeden Fall ist aber 
diese Passivität der deutschen Regierung und die gleichmütige 
Aufnahme aller beunruhigenden Nachrichten aus Wien unbedingt 
zu verurteilen. 
4. Die Haltung der Dreiverbandsmächte 
Über die Haltung der Regierungen der Dreiverbandsmächte 
in der Zeit vor Überreichung des österreichisch-ungarischen 
Ultimatums ist aus naheliegenden Gründen wenig bekannt. Sie 
werden die Pressemeldungen über die Untersuchung in Sarajevo 
verfolgt haben und besaßen, wie bereits erwähnt, auch Berichte 
ihrer Wiener Vertreter über den bevorstehenden, von aller Welt 
erwarteten Schritt in Belgrad. Sie kannten aber auch, offenbar 
sehr viel besser als die Berliner Regierung, die russischen Ver¬ 
sprechungen an Serbien. Die Alliierten und Assoziierten Mächte 
haben in Versailles in ihrer Note vom 16. Juni 1919 ausdrücklich 
erklärt, daß das deutscherseits vorgelegte Anklagematerial keine 
für sie neuen Tatsachen enthülle. Infolgedessen mußte sie die 
Zuspitzung der austro-serbischen Beziehungen mit Sorge erfüllen, 
wenn sie die Erhaltung des europäischen Friedens wünschten. 
War ihnen die Gelegenheit zum Kriege als eine günstige will¬ 
kommen, dann mußten sie von vornherein die Konstellation 
ausnutzen, um Deutschland in eine Falle zu locken. Der russischen 
Diplomatie war ihre Haltung bis zu einem gewissen Grade durch 
die Beschlüsse der Petersburger Konferenz vom 8./21. Februar 
1914 vorgeschrieben. Es heißt in dem betreffenden Protokoll: 
„Einen günstigen politischen Boden (für die Operationen zur
	        
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