Volltext: Kommentar zu den deutschen Dokumenten zum Kriegsausbruch (5 / 1920)

land zu einer solchen Maßnahme „gezwungen“ sei, gleichzeitig 
aber um eine Zusicherung bat, daß die Mobilmachung „nicht 
Krieg bedeute“, — ein weiterer Beweis dafür, wie ungerechtfertigt 
die Unterstellung ist (K. Seite 139), als wäre Rußland über die 
deutsche Auffassung hinsichtlich dieses Punktes im Zweifel gelassen 
worden. 
Etwa zwei Stunden später, um 42s, traf sodann von der Lon¬ 
doner Botschaft ein lelegramm ein, das die Möglichkeit einer 
„Neutralität Frankreichs“ in einem deutsch-russischen 
Kriege in Aussicht stellte (D. Nr. 562). Zur Kenntnis der ma߬ 
gebenden Stellen gelangte diese Depesche nach beendeter De¬ 
chiffrierung anscheinend erst, nachdem um 5° die Mobilmachung 
ausgesprochen worden war. 
Eifrig wurde das unerwartete Angebot aufgegriffen und — 
in weitgehender Unterschätzung der französisch-russischen Soli¬ 
darität — die Eventualität eines deutsch-russischen Krieges ohne 
Beteiligung Frankreichs ins Auge gefaßt (D. Nr. 575, 578 und 
579). Die vorbereitete Kriegserklärung an Frankreich wurde zwar 
nach Eintreffen der Antwort aus Paris um 610 noch ergänzt 
(D. Nr. 608), aber wiederum nicht abgesandt.*) Auch militärische 
Anordnungen, die jedes Ueberschreiten der französischen Grenze, 
selbst durch Patrouillen, verhindern wollten, wurden erlassen. 
Weiterhin ging um 7° abends im Berliner Schloß ein Tele¬ 
gramm des Königs von Englands ein, worin er den Empfang der 
deutschen Beschwerde über die russische Mobilmachung 
(D. Nr. 477) bestätigte und mitteilte, daß er dem Zaren seine Be¬ 
reitwilligkeit ausgedrückt habe, alles zu tun, „um die Wiederauf¬ 
nahme der Besprechungen zwischen den beteiligten Mächten zu 
fördern“ (D. Nr. 574). Endlich überreichte zu einer aus den Akten 
nicht ersichtlichen Zeit der britische Botschafter eine Aufzeichnung, 
wonach Sir Edward Grey wissen ließ, „er höre von der 
russischen Regierung, daß die österreichisch-ungarische Regierung 
bereit sei, die Lage mit der russischen Regierung zu besprechen, und 
daß die russische Regierung bereit sei, eine Vermittlung auf der 
Grundlage einer solchen Besprechung anzunehmen“ (D. N. 595). 
War es nun die Einwirkung dieser, teils vor, teils nach der 
Pariser Antwort erhaltenen Nachrichten, oder waren es andere Ein¬ 
flüsse; am späten Abend scheint sich die Ansicht durchgerungen 
zu haben, daß vielleicht nicht nur der Krieg mit Frankreich, sondern 
auch der mit Rußland zu vermeiden sei. Um 9iS wurde nämlich 
im Auswärtigen Amt auf das 25 eingetroffene Telegramm des Zaren 
eine Antwort entworfen, die trotz der abgesandten Kriegs¬ 
erklärung einen neuen Anknüpfungspunkt für Unterhandlungen 
*) Auch die schon verstrichene Zeit für Uebergabe der Note (6°) wurde 
nicht mehr berichtigt.
	        
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