Volltext: Kommentar zu den deutschen Dokumenten zum Kriegsausbruch (5 / 1920)

Die Unvermeidlichkeit des Krieges mit Frankreich konnte 
angesichts der Haltung der französischen Regierung sowohl 1912 
wie 1914 nicht bezweifelt werden. Die Kriegserklärung selbst 
hatte deshalb nur formale Bedeutung. 
Deutschland hat nichts getan, was andere Länder nicht eben¬ 
falls zur Erreichung politischer Zwecke unternommen hätten. 
Es hat weder unzulässige Ziele verfolgt, noch unerlaubte Hand¬ 
lungen begangen, immer von der Verletzung der belgischen Neu¬ 
tralität abgesehen, die als Kriegsmaßnahme nicht in den Rahmen 
dieser Untersuchung der diplomatischen Vorgänge fällt. Die 
Ententemächte sind deshalb, von ihrer eigenen Schuld ganz zu 
schweigen, nicht berechtigt, Deutschland anzuklagen. Sie haben 
es auch nicht gewagt, im Versailler Friedensvertrag den Ausliefe¬ 
rungsparagraphen auf die für den Ausbruch des Krieges Verant¬ 
wortlichen auszudehnen. 
Anders liegt die Frage der Verantwortlichkeit, wenn das deut¬ 
sche Volk seine frühere Regierung zur Rechenschaft zieht. Hier 
handelt es sich nicht um das, was in zwischenstaatlicher Beziehung 
erlaubt und unzulässig ist. Die Regierung war damit betraut, 
den Geschicken des deutschen Volkes die bestmögliche Gestaltung 
zu geben. Diese Aufgabe ist ihr nicht gelungen. Daß sie Fehler 
begangen hat, ist menschlich. Mängel der Erkenntnis können 
nicht als strafbare Schuld zur Verurteilung gelangen. Die zu 
stellende Frage ist auch nicht, ob anders gehandelt werden konnte, 
denn das ist selbstverständlich. Es gibt für alle Entscheidungen 
zahlreiche Möglichkeiten. Die Frage ist vielmehr, ob die damalige 
Regierung leichtfertig oder gegen besseres Wissen Handlungen 
und Unterlassungen beging, die Deutschland zum Schaden ge¬ 
reichen mußten. 
Aus den veröffentlichten Akten ist nicht ersichtlich, weshalb 
die Berliner Regierung Österreich-Ungarn freie Hand gegenüber 
Serbien ließ. Es erscheint heute unbegreiflich, daß sie Deutsch¬ 
lands Sicherheit und Zukunft in dieser Weise aufs Spiel setzte. 
Aus den Wiener Akten ist jetzt bekannt, daß die österreichisch¬ 
ungarische Regierung bei ihrem Vorgehen die deutschen Interessen 
nahezu gänzlich außer acht ließ und das Bundesverhältnis bis 
zum äußersten mißbrauchte. Es ist beschämend, zu sehen, daß 
eine Handvoll Ungarn und Tschechen, ohne Rücksicht auf die 
Folgen, Deutschlands politische Größe und militärische Macht 
für ihre lokalen Interessen ausspielten — und verspielten. Worauf 
begründete sich das unangebrachte Vertrauen Berlins zu Wien? 
War der Gang der Ereignisse in keiner Weise vorauszusehen? 
Nur infolge einer ungerechtfertigten Vertrauensseligkeit konnte 
der Zustand eintreten, daß die Wiener Regierung trotz des starken
	        
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