Volltext: Kommentar zu den deutschen Dokumenten zum Kriegsausbruch (5 / 1920)

auf Frankreich absehen und meine Truppen anderweitig verwenden. Ich hoffe, 
Frankreich wird nicht nervös werden. Die Truppen an meiner Grenze werden 
soeben telegraphisch und telephonisch abgehalten, die französische Grenze 
zu überschreiten.“ (Weißbuch Nr. 575.) 
Gleichzeitig telegraphierte Bethmann Hollweg an den Bot¬ 
schafter in London: 
„Deutschland ist bereit, auf englischen Vorschlag einzugehen, falls Eng¬ 
land sich mit seiner gesamten Streitmacht für die unbedingte Neutralität Frank¬ 
reichs im deutsch-russischen Konflikt verbürgt, und zwar für eine Neutralität 
bis zum völligen Austrag dieses Konfliktes. Darüber, wann der Austrag erfolgt 
ist, hat Deutschland allein zu entscheiden. 
Deutsche Mobilmachung ist auf Grund der russischen Herausforderung 
heute erfolgt, bevor Telegramm Nr. 205 eintraf. Infolgedessen ist unser Auf¬ 
marsch auch an der französischen Grenze nicht mehr zu ändern. Wir verbürgen 
uns aber, die französische Grenze bis Montag, 3. August, abends 7 Uhr, nicht 
zu überschreiten, falls bis dahin Zusage Englands erfolgt ist.“ (Weißbuch 
Nr. 578.) 
Der englische Vorschlag, der diesem Angebot zugrunde lag, 
beruhte jedoch auf einem Mißverständnis. Lichnowsky meldet 
am 2. August: 
„Anregungen Sir E. Greys, die auf Wunsch beruhten, möglichst dauernde 
Neutralität Englands zu schaffen, sind ohne vorherige Fühlungnahme mit 
Frankreich und ohne Kenntnis Mobilmachung erfolgt, inzwischen als aus¬ 
sichtslos völlig aufgegeben.“ (Weißbuch Nr. 631.) 
Der Krieg mit Frankreich war nunmehr unvermeidlich. 
Daß die Franzosen die Lage ebenfalls in diesem Lichte sahen, 
beweist unter anderem ihre planmäßige Verstümmelung der deut¬ 
schen Telegramme (Weißbuch Nr. 734, 749, 776, 809). Das 
,,Cabinet noir“ ließ keine Meldungen über französische und deut¬ 
sche Grenzverletzungen durch, um der Pariser Regierung die Mög¬ 
lichkeit zu geben, den letzten Akt des Dramas nach eigenem Be¬ 
lieben wirkungsvoll zu gestalten. Man legte nicht nur wegen 
der Stimmung im eigenen Lande, sondern auch mit Rücksicht 
auf die öffentliche Meinung Englands das größte Gewicht darauf, 
als die Angegriffenen zu erscheinen. Die französische Regie war 
der deutschen weit überlegen. 
In Berlin und in Paris war man gleichermaßen bemüht, das 
Odium der Kriegserklärung dem anderen Teile zuzuschieben, 
obschon dieser Akt nur noch formale Bedeutung hatte. Deutscher¬ 
seits bestand kein Interesse an der sofortigen Herbeiführung des 
Kriegszustandes (Weißbuch Nr. 629). In Paris war beabsichtigt, 
am 4. August den Kriegszustand mit Deutschland zu erklären. 
Der russische Botschafter telegraphierte am 2. August: 
„Die Deutschen überschreiten in einzelnen kleinen Abteilungen die fran¬ 
zösische Grenze, und auf dem französischen Territorium erfolgten bereits einige 
Zusammenstöße. Das wird der Regierung die Möglichkeit geben, vor den zu 
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