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die mit den Waldensern, Hussiten, Taufgesinnten und
vor allem mit der deutschen und schweizerischen Defor
mation einsehenden religiösen Kämpfe. Religionskampf
und Bauernkrieg hingen in vielen Gegenden unmittelbar
zusammen, denn oft gingen in den Religionsfragen Ober
schicht und Unterschicht verschiedene Wege. Es kommt
beides vor: protestantische Oberschicht auf katholischer
Unterschicht und umgekehrt. Und da es die Eigentümlich
keit der Religionskämpfe ist, die Menschen leidenschaftlich
bis zum Märtyrertum zu ergreifen, so wirkten sie inmitten
aller ihrer schauerlichen Zerstörungen als Wecker der
Menge. Das trifft für den ganzen Strich Landes von
Polen durch Böhmen, Mitteldeutschland und Süddeutsch
land bis durch Rordfrankreich zu; es gilt aber auch für
viele andere Stellen. Rm Religionskampf entsteht ein
Charakter, der seine Eigenart hat. Daher kommt es, das)
von der Zeit der Religionskämpfe an auch die Sprachen
des Untervolkes viel zäher und fester werden und sich
nicht mehr so leicht verschieben lassen wie vorher. Die
Französierung zwischen Mosel und Rhein und die Ger-
manisierung zwischen Oder und Weichsel erreicht ihr
Ende. Das Volk hat einen Glauben und eine Sprache,
oft einen anderen, als es eigentlich haben wollte, aber
es hat doch einen völkischen Zustand, der sich nicht mehr
beliebig verändern läßt.
Ruf dieser Grundlage erscheint nun die Volks
schule und die demokratische Strömung. Die Volks
schule wird aus kirchlichen und herrschaftlichen Absichten
eingerichtet, wirkt aber außerordentlich belebend auf den
eigenen Sinn der Masse. Durch die Volksschule wird
die Sprache der Unterschicht zur Schriftsprache und ?ur
Staatssprache. Von seht an gibt es Sprachenstreite. Und
erst infolge der Volksschule vermag die Menge den
Hauch der revolutionären, nationalen Ideen in sich auf
zunehmen, der von England und Frankreich her nach