Meine letzte Rede in diesem Kasino am 12. März 1911
schloß ich mit dem Hinweise auf den hundertsten Geburts—
tag des ehrwürdigen Dieners Gottes Bischofs Franz
Josef Rudigier, den schmerzhaften Freitag, 7. April
1911. Ich dachte damals nicht daran, daß das Kasino selbst
in diesem Jahre noch ein Jubiläum feiern kann, das seines
vierzigiährigen ununterbrochenen Bestandes. Merkwürdiger—
weise Keht auch diese Gedenkfeier in Zusammenhang mit dem
Leben und Wirken Rudigiers.
Die „Liberalen“.
Das Kasino hatte nämlich schon vor 1871 bestanden
und das neue Vereins- und Versammlungsgesetz, das mit
1 Jänner 1868 in Kraft getreten war, schien freie, wahr—
haft liberale Entwicklung zu ermöglichen. Waren ja doch
die „Liberalen“ am Ruder, die das Wort „Freiheit“
auf ihre Fahne geschrieben hatten. Bischof Rudigier for—
derte damaͤls die Seelsorgsgeistlichkeit unseres Landes auf,
den katholischen Vereinen ihr Augenmerk zuzuwenden, und
schloß mit dem Motto: „Vis unita kor tior“ (Geeinte Kraft
ist stärker).u) Es sollte sich aber bald zeigen, daß es nicht
die wahre Freiheit war, die die Liberalen im Munde
führten, sondern das abgebrauchte Schlagwort der fran—⸗
zösischen Revolution. J
Sie waren durch das Unglück des Vaterlandes auf
den Schlachtfeldern von 1859 und 1866 zur Herrschaft ge—
kommen. Sie identifizierten sich nun mit dem Staate und
schoben die Schuld an Oesterreichs Niederlagen auf die
katholische Kirche. Diese mußte den Prügelknaben abgeben.
Die Gesetze vom 25. Mai 1868 über die interkonfessionellen
Verhältnisse der Staatsbürger, über das Verhältnis der
Schuͤle zur Kirche und über die Ehe waren ein Faustschlag
gegen die bestehenden Verträge zwischen Staat und Kirche,
Liße Verneinung der souveränen Stellung der Kirchengewalt.
Verfsolgung Rudigiers.
Nun trat aber das katholische Volk für die Rechte
seiner Kirche in die Schranken und an seiner Spitze die
) Rudigiers kirchenpolitische Aktenstücke 127.