Volltext: Ueber die innere Entwicklung Oesterreichs in den letzten vier Jahrzehnten

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„Eiserne Ring“ gesprengt und Taaffes bisherige 
Politik aus dem Geleise geworfen, die Rückwirkung der 
böhmischen Parteiverhältnisse auf den Reichsrat machte sich 
in unangenehmster Weise fühlbar und so ist's bis heute 
geblieben. Dr. Lueger traf 1893 den Nagel auf den Kopf, 
wenn er für das Abgeordnetenhaus die Regel aufstellte: 
„Mit Böhm' fang an, mit Böhm' hör auf, das ist der beste 
Lebenslauf!“ 
Mit dem alten System fiel sein Hauptrepräsentant Du— 
najewski. Es nützte ihm jetzt nichts, daß er 1889 — trotz 
der 1887 und 1888 notwendig gewordenen Kriegsrüstungen 
gegen Rußland — endlich dem seit mehr als hundert Jahren, 
seit Kaiser Josef II.. chronischen Defizit des Staats— 
haushaltes ein Ende gemacht und unter allgemeinem 
Jubel zum erstenmal einen Ueberschuß von zwei Millionen 
Gulden erzielt, daß er den Entwurf einer progressiven Ein— 
kommensteuer bereits fertig gestellt hatte — er mußte im 
Jänner 1891 seinen Abschied nehmen. Der Unterrichtsminister 
Gautsch, der zu den Deutschliberalen neigte, siegte über 
ihn. Emil Steinbach, ein Sozialpolitiker, der Sohn 
jüdischer Eltern aus Wien, ein feiner, geistreicher Kopf, 
wurde Dunafewskis Nachfolger. 
Taaffes neue Versuche. 
Nach den Neuwahlen vom 27. Februar bis 21. März 
1891 schien Taaffe eine Mehrheit zu finden. Die Deutsch— 
liberalen unter Pleners Führung näherten sich ihm und 
stimmten für den geheimen Dispositionsfonds der Regierung. 
Im Dezember 1891 wurde der liberale Abgeordnete der 
Stadt Linz, Graf Kuenburg, deutscher Landsmann— 
minister. Aber nun war der czechische Landsmannminister, 
Dr. Prazak, in eine schiefe Stellung gekommen und trat 
im August 1892 zurück. In Böhmen und auch in Mähren 
und Schlesien wurde der Gegensatz zwischen Deutschen und 
Czechen immer schärfer, es kam schon zu Prügeleien, und 
als Taaffe Ende 1892 die Wiederbesetzung des cezechischen 
Landsmannministeriums in Aussicht stellte, legte Graf Kuen— 
burg seine Stelle als Vertrauensmann der Deutschliberalen 
im Rate der Krone nieder. Im böhmischen Landtag aber 
kam es den 17. Mai 1893 zu einem ungeheuren Tu— 
multe. Die Jungcezechen zerrissen die Blätter der Steno— 
graphen und warfen Bücher und Tintenfässer im Saale 
umher. Die Gewalttätigkeiten setzten sich auf der Straße
	        
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