Volltext: Der religiöse Zweifel

Separatabdruck aus de« „Katholischen Schulblättern > Jahrg. I82b 
| Der religiöse Zweifel. 
Vortrag, gehalten im Verein „Christliche Volksbildung" zu Linz am 25, Februar 1920 
von Dr, SB. Grosa m, Professor der Theologie in Linz. 
Der religiöse Zweifel, ein unhaltbarer Seelenzustand. 
Der Gelehrte Alexander von Humboldt, bett die erste Hälfte des 1l>. Jahrhunderts 
W Universalgenie feierte und dessen Ruhnl auch heute fortlebt/) schrieb gegen Ende seines 
Lebens als 84jähriger Greis an einen seiner Freunde: „Das.Leben ist der größte Urt* 
sinn. Wüßten wir lvenigstens, warum wir ans der Welt sind! Aber es ist und bleibt 
dem Denker rätselhaft und das größte Glück ist noch, als Flachkopf geboren zu sein."^) 
Ein erschütterndes Geständnis! Das ist also das Fazit einer mehr als 60jährigen 
Gelehrtenarbeit: Das Leben ein Unsinn, geistige Beschränktheit das größte Glück, lveil 
ihr die Quäl des Zweifels über den Sinn des Lebens erspart bleibt. — Unspillkürlick) 
fragt man sich: Ist das derselbe Alexander von Humboldt, der sonst so sicher und ge- 
wandt iil der Pose des aufgeklärten und abgeklärten Kulturmenschen auftritt, als wäre 
er mit sich und der Welt und dem Wesen alles Seins im reinen? 
Und daß lvir es.hier nicht nur mit einer vorübergehenden Stimmung seelischen 
Latzenjammers zu tun haben, beweist die sozusagen offizielle Antwort der ungläubigen 
modernen Wissenschaft auf die großen Lebensfragen nach Ursprung uild Ziel des Seins 
iitib im besonderen des Menschen. Es ist doch schließlich nur die Philosophie des Katers, 
wettn der ganze Chor der Vertreter einer monistischen Weltanschauung auf die bren 
nende Frage: „Woher? Wohin?" mit Du Bois-Reymond im Ton vornehmer, kühler 
Wissenschaftlichkeit die Antwort gibt: „Ignoramus et ignorabimus: Wir wissen es nicht 
und werden es niemals wissen." Ist. dieses Wort nicht ebenso bang und qualvoll? 
„Ich weiß es nicht", das kann ich mit größter Gemütsruhe sagen, lvenn mich einer 
um etwas fragt, was mich nichts angeht, woran mir nichts liegt. Aber lvenn eine treu- 
. liebende Gattin auf die Frage, wo ihr in Rußland verschollener Mann ist, antworten 
muß: „Ich weiß es nicht", dann rollen ihr die Tränen über die Wangen, lind wenn 
der Börsenspieler sein ganzes Vermögen eingesetzt hat auf eine gewagte Spekulation 
und auf die Frage, wie es ausgehen werde, antworten muß: „Ich weiß es nicht", dann 
hat er schlaflose Nächte. Und selbst der Prüfnngskandidat, der auf die Frage des ge 
strengen Professors antworten muß: „Ich lveiß es nicht", tröstet sich nicht mit dein 
j Sprüchlein: „Was ich lücht lveiß, macht mir nicht heiß." 
Bei den religiösen Fragen handelt es sich aber eben um die persönlichste und fol 
genschwerste Angelegenheit, um Leben und Sterben, um ewiges Sein oder Nichtsein! 
Darüber nichts zu wissen, muß zum Verzweifeln trostlos sein; es sei denn, daß jemand 
so stumpfsinnig ist, daß er nicht auffaßt, worum es geht, oder so grenzenlos leichtsinnig, 
daß er den Lebenswagen einfach laufen läßt, ob er auch über kurz oder lang unter die 
Räder kommt. 
Uebrigens ist auf dem billigen Ruhebett des „Ignoramus“ in Wahrheit nicht so 
behaglich schlafen, wie man gern vortäuschen möchte. Es gelingt ja freilich zeitweilig, 
den nagenden Wurm des religiösen Zweifels zu betäuben. Aber das Leben sorgt schon 
dafür, daß das große Fragezeichen am Ende des Lebens immer wieder auftaucht. Die 
Frage aller Fragen — jeder Kirchturni stellt sie und jeder Friedhof wiederholt sie und 
jeder Priesterrock auf der Straße geniahnt daran (darum sind ja manchem alle diese Er 
scheinungen des religiösen Gedankens ein solcher Greuel — lästige Mahner!)-und jede 
b Vgl. Janssen, Zeit- und Lebensbilder. 4. Slnfl. Freibnrg, Herder 1886. S. 180 f. 
") Pohle, P. Angelo Seechi. Ein Lebens- und ttnltnrbild. 2. An fl. Köln 1604. S. XV
	        
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