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Die Wissenschaft vom subjectiven Geist.
Wirksamkeit ist die unmittelbare Herrschaft, welche der stärkere Geist
ohne weiteres auf den schwächeren ausübt, womit er denselben gleich
sam bannt, wie Kent von Lear sagt: „Es ist etwas in seinem Gesicht,
das ich gern Herr nennen möchte". „Die vermittlungsloseste Magie
ist näher diejenige, welche der individuelle Geist über seine eigene
Leiblichkeit ausübt, indem er dieselbe zum unterwürfigen, widerstands
losen Vollstrecker seines Willens macht." *
Die natürliche Seele empfindet den gegenwärtigen Eindruck, nicht
den künftigen; die fühlende Seele, da sie die ganze Welt umfaßt und
durchdringt, in welcher sie und die in ihr lebt, hat Vorgefühle von dem,
was dem Individuum bevorsteht und in ihm schon vorbereitet liegt,
d. h. sie hat Ahnungen, die um so mächtiger auftreten können, je
weniger die Seele von den Zerstreuungen des Alltagslebens aus
einander gezogen ist, je ruhiger, stiller, gesammelter sie in sich lebt
und webt, wie in der Nacht, im Schlaf, im Traum. So erklärt sich
aus dem Wesen der fühlenden Seele die Möglichkeit ahnungs- und
bedeutungsvoller Träume.
Zu den Mächten, die der natürlichen Seele inwohnen und einen
unwillkürlichen Einfluß auf dieselbe ausüben, gehört die Heimath, das
Vaterland, der Staat u. s. f. Diese Mächte sind durchaus individuell
bestimmt und zugleich von allgemeiner Geltung, sie sind weder ver
einzelte Dinge, noch machen sie vereinzelte Eindrücke; sie werden daher
nicht empfunden, sondern gefühlt; es giebt Heimathsgefühle wie Heim
weh, Vaterlandsgefühle, wie patriotische Pflichtgefühle u. s. f. Wenn
nun diese Mächte so gewaltig sind, daß sie die Seele ganz erfüllen
und unwiderstehlich beherrschen, so sind sie der Genius des Indivi
duums, es kann ihren Untergang oder Verlust nicht überleben, sondern
stirbt ihnen nach, wie Cato der römischen Republik. ^
Nun kann ein Individuum seinen Genius in einem andern In
dividuum haben, von dem es unmittelbar abhängig ist und sich fühlt.
Dadurch entstehen zwischen verschiedenen Individuen die sogenannten
magischen Verhältnisse, die auf ganz natürliche und normale
Weise stattfinden, wenn sich das eine noch unselbständige Individuum
wirklich in leiblicher Abhängigkeit von dem andern befindet, wie das
erst heranreifende Kind (Fötus) im Leibe der Mutter. 3
i Ebendas. § 405. S. 151—156. — - Ebendas. S. 158 u. 189. S. 161 u.
162. S. 164. — - Ebendas. S. 159-161.