Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

Die griechisch-römische und die alexandrinische Philosophie. 1075 
Wollens. Jedes Wesen will sich selbst. ' In dem Triebe zur Selbst 
liebe und Selbsterhaltung besteht die Natur der Dinge, das Wesen 
der thierischen wie der menschlichen Natur; diese aber ist denkend und 
vernünftig, daher ist das naturgemäße Leben des Menschen gleich 
bedeutend mit dem vernunftgemäßen. Hieraus ergeben sich die 
Grundfragen der stoischen Moral: 1. Worin besteht der Endzweck des 
menschlichen Lebens oder das höchste Gut und die ihm gemäße Ge 
sinnungsart oder der tugendhafte Charakter? 2. Wie verhält sich das 
höchste Gut zu den Gütern oder die Tugend zur Glückseligkeit; es 
handelt sich sowohl um die Harmonie als um die Gegensätze zwischen 
Tugend und Glückseligkeit, auch um die Gegensätze innerhalb der 
Tugend. 3. Welches ist das Ideal des Weisen? 
Die Glückseligkeit fällt entweder mit dem stoischen Tugendbewußt 
sein zusammen und besteht in dem Selbstgenuß der eigenen Willens 
erhabenheit, in dieser empfundenen inneren Einheit mit sich selbst, 
oder sie ist etwas von außen Hinzukvmniendes und besteht in- dem 
Besitz der äußeren Güter und Annehmlichkeiten des Lebens, welche 
Lust und Vergnügen verursachen. Die Ueberzeugung von der Werth- 
losigkeit aller äußeren und bedingten, dem Zufall und Untergange 
preisgegebenen Güter zerstört alle darauf gegründete Glückseligkeit als 
ein eitles Trug- und Wahugebilde und macht das stoische Bewußtsein 
gegen alle äußeren Güter, deren Besitz die Thoren Glückseligkeit nennen, 
vollkommen gleichgültig. Nun kann auch von einem Gegensatze zwischen 
Tugend und Glückseligkeit nicht mehr die Rede sein, auch nicht davon, daß 
es dem Tugendhaften in der Welt schlecht, dem Lasterhaften aber gut gehe, 
denn die Güter, welche dieser besitzt, jener aber entbehrt, sind keine 
Güter. Man darf vernünftigerweise nicht darüber klagen, daß man 
Güter, die keine sind, verfehlt oder verloren hat; man kann vernünftiger 
weise nicht wünschen, in dem Andenken solcher fortzudauern, welche selbst 
nicht fortdauern, man kann vernünftigerweise nichtigen Gütern nicht 
nachtrachten und nachjagen. Nichtig aber sind alle sogenannten Güter. 
Lust und Vergnügen sind keine Güter; daher sind Reue, Ehrgeiz, überhaupt 
alle Begierden falsch und sinnlos, wie Marc Aurel in seinen Selbst 
betrachtungen vortrefflich dargethan hat. „Das Große in der stoischen 
Philosophie ist, daß in den Willen, wenn er so in sich zusammenhült, 
nichts einbrechen ka»n, alles andere draußen gehalten wird, da selbst 
die Entfernung des Schmerzes nicht Zweck werden kaun. Wenn aber 
ber Weise Herr ist über alle Begierden, auch über die furchtsamen, 
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