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Die Philosophie der Religion.
Wunder, weshalb es hier Wunder im eigentlichen Sinn, d. h. im
Unterschiede von dem gewöhnlichen Gange der Dinge gar nicht giebt.
Diese sind erst möglich in der entgötterten Welt, weil es nur hier einen
geregelten oder geordneten Weltlaus giebt, und die Wunder Gottes
nichts anderes sind als Eingriffe Gottes in diesen Weltlauf. Die
Welt entgöttern heißt den Weltlauf regeln und dadurch die Wunder
thaten ermöglichen?
Die Beziehungen Gottes zur Welt nennt man seine Eigenschaften.
Daß die Welt ist und fortdauert: darin besteht seine Güte; daß er
die Vergänglichkeit und Nichtigkeit der Dinge offenbart: darin besteht
seine Gerechtigkeit; daß er mächtiger ist und erscheint, als jede
Gestalt seiner Manifestation: darin besteht seine Herrlichkeit und Er
habenheit, welche recht eigentlich die Wesenseigenthümlichkeit und den
Charakter dieses Gottes ausmacht. Das alte Testament ist erfüllt
von diesen Gottesanschauungen. „Gott sprach: es werde Licht und
es ward Licht" ist eine seiner erhabensten Stellen.
Das erhabenste seiner Geschöpfe ist der Mensch, denn Gott hat
ihn zu seinem Ebenbilde gemacht; aber diese Gottähnlichkeit sollte
nicht bloß die Gabe Gottes, sondern die eigenste That des Menschen
selbst sein. Diese eigenste That geschah durch den Sündenfall, wie es
der biblische Mythus oder die Parabel vom Sündenfalle darstellt: der
Mensch mußte nach dem Rathe der Schlange die verbotene Frucht vom
Baume der Erkenntniß des Guten und Bösen essen, um wissend zu
werden, d. h. gottähnlich. Darin besteht die tiefe Wahrheit dieser
Erzählung, welche, da sie eine ewige Wahrheit als eine zeitliche Begeben
heit darstellt, auch Züge enthalten muß, die nicht zutreffen. Gott hat
diese eigenwillige That, den Ungehorsam des Menschen, d. i. sein
Heraustreten aus dem Stande der Unschuld, mit der Vertreibung aus
dem Paradiese und seiner Verfluchung gestraft, er hat den Menschen
verdammt zur Arbeit und zum Tode. „Im Schweiße deines Angesichts
sollst du dein Brod essen, und du sollst wieder zur Erde werden, da
du von ihr genommen bist, denn Staub bist du, und zum Staube sollst
du zurückkehren."
Indessen ist der Tod kein trostloses Schicksal, denn es giebt ein
unsterbliches und ewiges Leben, welches die jüdische Religion nicht
kennt, und in der Arbeit liegt nicht die Qual, sondern die Hoheit
des Menschen?
* Ebendas. S. 46-54, S. 58-61. — 2 Ebendas. S. 72—77.