944 Die Aesthetik oder die Philosophie der schönen Kunst.
gehört überhaupt die unendliche Wohlgemuthheit und Zuversicht, durch
aus erhaben über seinen eigenen Widerspruch und nicht etwa bitter
und unglücklich darin zu sein; die Seligkeit und Wohligkeit der Sub-
jectivität, die, ihrer selbst gewiß, die Auflösung ihrer Zwecke und
Realisationen ertragen kann." Das substanzlose Handeln ist in sich
nichtig und zerstört sich selbst. Dies ist die wahre Lösung der in der
Welt herrschenden Thorheiten und Widersprüche. „Was jedoch in dieser
Lösung sich zerstört, kann weder das Substantielle noch die Sub-
jectivität als solche sein/"
Zwischen der Tragödie und Komödie bildet das Drama oder
Schauspiel im engeren Sinn eine Mittelstufe von tiefer Berechtigung.
Die tragische Collisiou kann ohne den Untergang und die Aufopferung
der Individuen dadurch gelöst werden, daß die Berechtigung auf und
von beiden Seiten erkannt und die Gerechtigkeit ohne tragischen Aus
gang hergestellt und versöhnt wird. In der Erkenntniß liegt das
Heil und die Heilung, und eben darin besteht die Tiefe des dramatischen
Kunstwerks. So wird in den Eumeniden des Aeschylus durch den
Areopag und die Stimme der Athene der Streit zwischen dem Apollo
und den Erinnyen entschieden. „In dem modernen Schauspiel sind
es die Individuen selbst, welche sich durch den Verlauf ihrer eigenen
Handlungen zu diesem Ablassen vom Streit und zur wechselseitigen
Aussöhnung ihres Zwecks oder Charakters hingeleitet finden. Nach
dieser Seite ist Goethes Iphigenie ein echt poetisches Musterbild eines
Schauspiels.
3. Das antike und moderne Drama.
Was die dramatische Poesie in den Gegensatz der Tragödie und
Komödie scheidet, das entscheidet auch ihren Entwicklungsgang, denn
jener Gegensatz ist eine nothwendige Stufenfolge. Da das Princip der
individuellen Freiheit und Selbständigkeit zum tragischen Handeln noth
wendig ist nnd in der orientalischen Welt fehlt, so kann von dem eigent
lichen Beginn der dramatischen Poesie erst bei den Griechen die Rede
sein. Die antike Tragödie beruht auf dem epischen und heroischen Welt
zustande, daher bedarf sie sowohl der Stimme des allgemeinen Volks
bewußtseins als auch des individuellen Pathos: jene verkündet der
Chorgesang, dieses erscheint in den Heroen. Der Chorgesang bildet
nicht bloß den Ursprung der antiken Tragödie, sondern auch einen
- Ebendas. S. 533-537. - - Ebendas. S. 537-540.