Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

Die Lehre von den Kunstformen. 
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Götter erfunden haben, denn derselbe Herodot sagt von einzelnen Göttern 
ausdrücklich, daß sie ägyptischen Ursprungs waren. Der Stoff der 
griechischen Mythologie ist von außen her überliefert, von den Griechen 
aufgenommen und empfangen, von ihren Dichtern umgestaltet, geformt 
und poetisch gemacht worden. So ist die griechische Religion, dieses 
„objective Kunstwerk", wie Hegel es genannt hat, entstanden. Und so 
verhält sich überhaupt die classische Kunstform zur symbolischen und 
orientalischen. „Indem das classische Ideal nicht unmittelbar vorhanden 
ist, sondern erst durch den Proceß, in welchem sich das der Gestalt 
des Geistes Negative aushebt, hervortreten kann, so wird diese Um 
wandlung und Herausbildung des Rohen, Unschönen, Wilden, Barocken, 
bloß Natürlichen oder Phantastischen, das seinen Ursprung in früheren 
religiösen Vorstellungen und Kunstanschauungen hat, ein Hauptinteresse 
in der griechischen Mythologie sein und deshalb einen bestimmten Kreis 
besonderer Bedeutungen zur Darstellung bringen müssen." 1 
Der Gang der Mythologie läßt sich mit dem der Skulptur ver 
gleichen, deren Anfang auch der rohe, ungeschlachte Stoff war. Die 
große Göttin von Pessinus in Kleinasien war Anfangs ein vom 
Himmel gefallener unförmiger Stein oder Holzblock, den die Skulptur 
zu formen und in die menschliche Gestalt und Statur umzuwandeln 
hatte. So beginnt auch die Mythologie mit den noch formlosen un 
geschlachten Naturgewalten und durchläuft die Stadien, auf welchen sich 
dieselben zu individueller Geistigkeit erheben und zu festen Gestalten 
zusammenziehen. ^ 
Diese Erhebung, theogonisch zureden, ist der Kampf der neuen 
Götter mit den alten und deren Besiegung. In diesem Kampf 
unterscheidet Hegel drei Momente, in welchen von der Gestaltlosigkeit 
und Unform fortgeschritten wird zu der Individualität und Schönheit: 
das erste sind die Orakel, der zweite Hauptpunkt betrifft das Wesen 
der alten Götter, der dritte den Sieg der neuen. 
Die griechischen Götter sind die wissenden und wollenden 
Mächte der Welt, daher die ihnen gemäße Form der menschliche Typus 
in seiner Herrlichkeit ist. Diese aber ist nicht als etwas Fertiges ge 
geben, sondern will errungen, erkämpft, d. h. entwickelt sein. Der wahre 
Ausdruck des Wissens und Wollens ist das besonnene Denken und die 
darauf gegründeten Entschlüsse und Rathschläge. Ein solcher Ausdruck 
1 Ebendas. S. 37-41. (S. 89 flgd.) Vgl. oben Cap. XXXV. S. 763 u. 
764. - - Hegel. X. Abth. II. S. 40 u. 41.
	        
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