Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

Die Lehre vom Ideal. 
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- Ebendas. S. 813-360. (S. 354 flgd.) 
giebt, die mit dem Reformator gar nichts gemein haben. Das sind 
falsche und zweckwidrige Anachronismen. 
Freilich ist es nothwendig, daß der Anschauende in dem Kunstwerke, 
auch wenn es die entlegensten Weltzustände darstellt, sich völlig ein 
heimisch und gegenwärtig fühlt. Daher muß ihm der Gegenstand ein 
leuchten und verständlich sein, was nur möglich ist, wenn er die all 
gemeine, ihm unveräußerliche Empfindungsweise seiner Zeit und Volksart 
darin wiederfindet. So hat Aeschylus in seine „Eumeniden" eine tief 
gedachte und ergreifende Beziehung auf Athen und den Areopag, 
Sophokles in seinen Oedipus eine eben solche auf Athen und Kolonos 
hineingedichtet. Dies sind auch Anachronismen, aber nothwendige und 
höchst zweckmäßige. In seiner selbständigen Nationalität hat Calderon 
die Zenobia und Semiramis bearbeitet, und Shakespeare den ver 
schiedenartigsten Stoffen einen englisch nationalen Charakter einzu 
prägen verstanden, obwohl er den wesentlichen Grundzügen nach bei 
weitem tiefer als die Spanier auch den geschichtlichen Charakter fremder 
Nationen, wie z. B. der Römer, zu bewahren wußte. Die Dichter 
thuen gut, ihre epischen und dramatischen Stoffe, wo es sich um dar 
zustellende Weltzustände handelt, aus der Geschichte des eigenen Volkes 
zu nehmen, wie Shakespeare in seinen Historien und Voltaire in seiner 
Henriade. Bodmers Noachide und Klopstocks Messias sind aus der 
Mode gekommen. Das schönste Beispiel einer deutschen epischen aus 
der Gegenwart des deutschen Volkslebens geschöpften Dichtung ist 
Goethes Herrmann und Dorothea; das herrlichste Beispiel deutscher, 
von den Vorbildern orientalischer Dichtungen erfüllten und inspicirten 
Lyrik ist Goethes west-östlicher Divan, und, was Hegel nie genug rühmen 
kann, das bewunderungswürdigste Beispiel eines deutschen Dramas, 
dessen Thema aus der griechischen Herocnzeit und Mythologie stammt, 
ist Goethes Iphigenie auf Tauris. Was die Objcctivität im Sinne 
des Ideals und der Kunst bedeutet, darüber hat Hegel in der anschau 
lichsten Weise sich und seine Zuhörer belehrt, indem er auf diese drei 
Perlen der deutschen Poesie hinweist/ 
4. Der Künstler. 
Das Ideal ist, wie schon feststeht, die aus dem Geist geborene 
und wiedergeborene Schönheit. Was die objective Wirklichkeit des 
Naturschönen erstrebt, aber nicht vollbringt und zu vollbringen vermag,
	        
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