Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Zweiter Theil] (8,2 / 1901)

Die griechische Welt. 
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seit, welche das Einzelne hervortreten und zu voller Geltung gelangen 
läßt. In der orientalischen Welt verschwindet das Individuum, in 
der griechischen tritt es in den Vordergrund. In der Individualität 
liegt die Kraft der Selbstthätigkeit, die Aufgabe der Selbstentwicklung. 
Was das griechische Volk war. das ist es geworden, dazu hat es sich 
selbst gemacht und entwickelt. 
Ein wahrhaft schönes und freies Leben entsteht nicht durch den 
ruhigen Fortgang der Dinge innerhalb desselben blutsverwandten und 
befreundeten Geschlechts, sondern durch gegensätzliche Thätigkeiten, durch 
die Mischung und den Kampf verschiedenartiger Elemente, einheimischer 
und fremder. Alle Bedingungen, welche zur Entstehung und Aus 
prägung gehaltvoller Individualitäten nothwendig sind, zeigen und 
vereinigen sich in der vorgeschichtlichen Grundlegung des griechischen 
Volkes, wie dieselbe im mythologischen Bewußtsein lebt und fortlebt: 
der Zusammenfluß (colluvies) verschiedenartiger Völkerschaften gleich 
im Anbeginn, die Unterscheidung der Stämme, der Pelasger und der 
Hellenen, des äolischen, ionischen und dorischen Stammes, diese Stämme 
in beständigen Wanderungen (ohne Wanderung reist keine Indivi 
dualität), die Einwanderung Fremder, wie des Kekrops, des Kadmus, 
des Danaus, des Pelops u. s. f., die Gründung der alten Königs 
geschlechter mit ihren Burgen, cyklopischen Mauern, Schatzhäusern u. s. f., 
die Auswanderung aus übervölkerten Städten, die Gründung von 
Kolonien, die sich zuletzt an allen Küsten des mittelländischen Meeres 
ausbreiten: welche Fülle von Schicksalen, Erfahrungen und Bildung! 
Am Ende der vorgeschichtlichen Zeit steht der trojanische Krieg, 
diese erste wirklich gemeinsame Nativnalunternehmung griechischer Fürsten 
und Völker wider eine feindliche asiatische Macht; die Gemeinschaft 
sowohl der Fürsten und Heerführer unter einander als auch die zwischen 
den Fürsten und ihren Völkern hatte nicht den Charakter der Einheit 
weder despotischer noch auch monarchischer Art, sondern war ein lockeres 
Band, welches den Individualitäten genug freien Spielraum ließ. In 
die Zeit zwischen dem trojanischen Krieg und der Epoche des Cyrus 
fallen die inneren Wanderungen und die Gründung der Kolonien, 
unter denen sich Neu-Jonien besonders hervorhebt, vor allen Milet, 
die erste Heimath der griechischen Philosophie. 
Die alten Königsgeschlechter sind untergegangen, ihre Indivi 
dualitäten hatten Raum genug, um ihre Leidenschaften auszulassen und 
wurden darum ein vorzüglicher Gegenstand der dramatischen Darstellung;
	        
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