Die Moralität.
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1 Ebendas. S. 195-199. Anmerk. S. 196 u. 197.
weil es sich betrügen will. Der Probabilismus ist der heuchlerische
und geflissentliche Selbstbetrug.
Der Probabilismus führt zu dem berüchtigten Satze: „der Zweck
heiligt die Mittel". Wer aber entscheidet über die Heiligkeit des
Zwecks und darüber, ob das für heilig gehaltene Mittel den für heilig
gehaltenen Zweck in Wahrheit befördert hat? Niemand anders als die
Subjectivität in ihrer angemaßten Machtvollkommenheit und in ihrem
eigensten Interesse, d. h. das böse Gewissen und die böse Willkür.
In diesem Subjectivismus gipfelt die Rechtfertigung der Hand
lungen durch die persönlichen Absichten und Ueberzeugungen. „Meine
Absicht des Guten bei meiner Handlung und meine Ueberzeugung da
von, daß cs gut sei, macht sie zum Guten. Jede Spur einer Ob-
jectivität des Guten ist verschwunden, jede Spur eines Unterschieds
zwischen dem Guten und Bösen. Noch ein Schritt, und die Moralität
steht jenseits des Guten und Bösen. Dieser Standpunkt des boden
losen Subjectivismums ist die Ironie, nicht in dem Sinne, wie Plato
diesen Ausdruck von Sokrates und seinem dialogischen Verhalten gegen
das ungebildete und sophistische Bewußtsein gebraucht hat, auch nicht
im Sinne der tragischen Ironie, wie Solger (in einer von Hegel
nicht gebilligten Weise) den Ausdruck verstanden wissen wollte, sondern
im Sinne der genialen oder geniesüchtigen Ironie, welchen Stand
punkt Fr. v. Schlegel, als er von Fichte herkam und die Wildbahn
einschlug, verkündet hatte. Kein Standpunkt lief den Grundideen und
der Persönlichkeit Hegels so zuwider, wie dieser. Fichte hatte zum
Principe der Philosophie das absolute Ich gemacht, Schlegel setzte an
dessen Stelle das besondere Ich, sein besonderes Ich und gab ihm
die Machtvollkommenheit des absoluten. Ich, dieses besondere Ich,
weiß sich als das über Wahrheit, Recht und Pflicht Beschließende, es
weiß sich als das, welches so will und beschließt, auch ebenso gut
anders wollen und beschließen kann; nicht die Sache ist das Vortreff
liche, sondern dieses Ich, das mit der Sache spielt, sich genießend, nur
sich. „Diese Gestalt ist nicht nur die Eitelkeit alles sittlichen In
halts der Rechte, Pflichten, Gesetze, — das Böse, und zwar das in
sich ganz allgemeine Böse, sondern sie thut auch die Form, die sub-
jective Eitelkeit hinzu, sich selbst als diese Eitelkeit alles Inhalts zu
wissen und in diesem Wissen sich als das Absolute zu wissen." 1