Volltext: Jüdische Herkunft und Literaturwissenschaft

fels (die 2. Auflage bringt dazu noch David Friedländer und Leon 
Gomperz); neben Varnhagen von Ense marschieren Rahel, Rosa 
Maria, D. A. Assing, Joh. Ferd. Koreff, Wilhelm Neumann 
auf; Börne und Heine erscheinen mit Ludwig Robert und Michael 
Beer in einem richtigen Judenkapitel. Die Einleitung dazu mag hier 
stehen, da sie äußerst charakteristisch ist: „Seit Moses Mendelssohn hat 
ten die Juden in Deutschland keinen Schriftsteller von Bedeutung gehabt, 
waren aber, angeregt durch seine Bestrebungen, bemüht, die freie all 
gemeine Bildung der Zeit in sich aufzunehmen, ohne deshalb ihrem 
Glauben untreu zu werden. Die Zeitbewegungen, die überall auf Weg 
räumung hemmender Schranken der freien menschlichen, politischen und 
religiösen Entwicklung gerichtet waren, kamen ihnen kräftig zu Hilfe 
und bahnten, wenn auch langsam, doch sicher und siegreich die völlige 
Gleichstellung in politischer Beziehung an. Der Judenzins, der Leibzoll 
fielen weg, die Stolgebühren hörten auf, die Berechtigung zur Erwer 
bung von Grundbesitz und zur Wahl des Berufs trat allmählich ein, 
und eine soziale Ausgleichung des Unterschiedes zwischen Juden und 
Christen war im Werden. Dennoch lastete der Druck noch fühlbar genug 
auf diesem Teile der Bevölkerung, und andrerseits zeigte sich unter 
den Juden selbst mehrfach ein entschiedener Widerstand gegen die Bil 
dung der neueren Zeit. Sie, die bis dahin kein eigentliches Vaterland 
gehabt und nur ein in verschiedene Staaten verstreutes, unter sich durch 
Sitten, Gebräuche und gemeinsame Sprache zusammenhängendes Volk 
gebildet hatten, gaben ungern ihre rabbinische Literatur und Schrift auf, 
deren sie als Grundlage ihrer religiösen Bildung und ihres Verkehrs 
untereinander nicht glaubten entbehren zu können. Doch wurde, als 
die in bewegter Zeit gewonnenen Freiheiten bei der Wiederkehr der Ruhe 
wieder unsicher erschienen, auch unter den Juden die Einsicht allgemeiner, 
daß nur durch Aufnahme der Bildung der übrigen die Freiheiten zur 
Freiheit werden könnten. Die Reform mußte von innen kommen und 
mit dem Draußen in Einklang stehen. Sie beruhte nicht vorwiegend auf 
den Schriftstellern, die an der deutschen schönen Literatur Anteil nahmen, 
aber diese konnten wesentlich dazu beitragen. Manche derselben hielten 
den Weg, der zu diesem Ziele führte, für zu langwierig und glaubten 
ihn abkürzen zu können, indem sie zum Christentum übertraten, ohne 
dadurch etwas anderes zu bezwecken, als der politischen und bürgerlichen 
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