Volltext: Enrica Handel-Mazzetti 60

Enrica von Handel-Mazzetti. 
Wenn es einen goldenen Corbeerkranz gäbe, den immer die Würdigste unter den Schrikt- 
stellerinnen deutscher Zunge zu tragen berufen wäre, und der von einer großen Dichterin 
eweils auf die andere überginge, so würde er nach Marie von Ebner-Eschenbachs Tod 
kein anderes Haupt mit mehr Berechtigung schmücken als das Enrica von Handel- 
Maæzzettis. Zuei Zeitläufte, fast einander gegenlätzlich, lind in dielen beiden HNamen ver— 
körpert. Altösterreich noch vor der Jahrhundertwende auf der einen Seite, mit dem 
altliberalen Geist von ehedem, mit dem behaglichen Wohlstand, der es schlapp machkte, 
mit der zwar gepflegten und verfeinerten, aber etwas mühigen gelellschattlichen Rultur, 
die es wie ein Narkotikum in arglosem Schlummer befangen hielt, und deren oberster 
rundlatz frei nach dem Ibsen-Hohnwort „So etas tut man doch nicht“ ungetähr 
lautete: „So etwas denkt und sagt man doch nicht!“ Und auf der andern Seite der aus 
dem Ernst des immer härter vwerdenden Cebenskampfes und aus dem Wahrheitsfana- 
tismus eines lechzenden Suchens und Sehnens geborene Geist einer werdenden Zeit, 
der mit unendlich größeren Maßstäben mißt und alle Gemütlichkeit des Dahinsumperns 
nit der Glut eines auch wochentags lebendigen religiösen Bekennertums erlchüttert. 
Dort — bei aller Ciebenswürdigkeit und Anmut — etuas wie die schal gewordene 
Asthetik eines spielerischen Rlassizismus; hier die Uberdimenlionierung des, Willens in 
sestaltungen, die an die Ekstase des Barock gemahnen und oft lelbst vor Blutrünstig- 
aeiten nicht zurückschrecken. Es gibt in der Runstgeschichte meines Wissens kaum einen 
zchaffenden, am allerwenigsten einen weiblichen Rünstler, der an die Kraft und Gewalt 
BZuonarottis heranreichen würde. In der Dichtung gibt es diesen weiblichen Michel Angelo. 
Und wir können Gott danken, daß das Titanentum, die stütmende Dämonie, die Enrica 
von Handel-Maæzettis Frauenseele bewegen, ihre Verklärung durch die Runst, ihren 
alt und Zügel in einer streng konfessionellen Gebundenheit suchen und finden. Auf 
diese Weise bezähmt, bewällert der wie aus Gletschern hervorgebrochene Wildbach ihrer 
Zegabung die Wielen und Triften einer neuen Gelittung. 
Emil Ertl.
	        
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