III. KAPITEL.
Serbien und die Annexion Bosniens
und der Herzegowina.
Die auf die Annexion Bosniens und der Herzegowina bezugnehmen¬
den Akten sind namentlich infolge der neuesten englischen und öster¬
reichischen Aktenpublikationen sehr zahlreich und aufschlußreich.
Auch die von mir herausgegebene serbische Aktensammlung, die im
Verhältnis zu den übrigen großen Publikationen dieser Art eine viel
geringere Anzahl von Aktenstücken aufweist, enthält gerade über die
bosnische Annexionskrise die zahlreichsten Dokumente der ganzen
Sammlung, und zwar Dokumente, die auch ihrem Inhalte nach von
besonderer Wichtigkeit sind. Es ist dadurch die Möglichkeit gegeben,
sich ein klares Bild über diesen Geschichtsabschnitt und über die
Folgen gerade dieses mit unabwendbarer Notwendigkeit zum Welt¬
kriege führenden Ereignisses zu machen.
Der geographische Begriff Bosnien war im Laufe der Jahrhunderte
ein sehr schwankender. Eine eigene bosnische Nationalität hat es
trotz aller Versuche, eine solche künstlich zu konstruieren, nie ge¬
geben1), wohl aber einen bosnischen Staat, dessen Grenzen jedoch
nicht immer mit dem geographischen Begriffe von Bosnien überein¬
stimmten, denn es gehörten im Laufe der Jahrhunderte und vor der
Eroberung Bosniens durch die Türken Teile desjenigen Gebietes, das
geographisch als Bosnien bezeichnet wurde, zu Kroatien, zu Ungarn
und teilweise auch zu Raszien* 2).
Die Herzegowina bildete dagegen stets ein politisch und geogra¬
phisch selbständiges Ganzes.
*) Erwähnt seien hier in dieser Beziehung die Bemühungen der österreichischen
Verwaltungsbehörden, den bosnischen Dialekt der serbischen Sprache zu einer
bosnischen Sprache zu erheben.
2) Dies hat Herr Paschitsch während der Annexionskrise in Petersburg zwecks
Rechtfertigung der serbischen Ansprüche auf Bosnien des öfteren betont. Vgl.
öst. Dok., Bd. I, Nr. 560, S. 430. Äußerung Paschitschs: „Es gibt einen Weg zum
Ausgleiche, wenn er mit gutem Willen von beiden Seiten gesucht wird. Die von
Österreich-Ungarn gewaltsam fortgenommenen Provinzen waren — wie alte Doku¬
mente und Bücher beweisen — ursprünglich als türkischer Besitz wesentlich
kleiner wie bei späterem Übergang der Verwaltung an Österreich-Ungarn. Das
übrige gehörte uns. Bei Wiederherstellung des historischen Serbiens in seiner vor¬
maligen Gestaltung könnte der Schlüssel zur Verständigung gefunden werden.“
3 Boghitschewitsch.
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