Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

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Italien betreffend haben Sie in Ihrer heutigen Rede1), zu der ich 
Sie herzlichst beglückwünsche, und für deren die Unterstützung un¬ 
serer Politik betreffende Ausführungen ich Ihnen wärmstens danke, 
das sehr richtige Wort ausgesprochen, indem Sie das Dictum Nigras 
zitierten, daß Italien nur entweder als Freund oder als Gegner Österreich- 
Ungarns gedacht werden könne. Die letzte Kammerdebatte stand unter 
dem Zeichen des Unmutes, daß Italien in der gegenwärtigen Krise 
keine besondere Rolle spielen oder Kompensationsansprüche anmelden 
könne. Darin zeigt sich die Wirkung unserer militärischen Stellung 
an der italienischen Grenze, an der wir festhalten müssen, dabei aber 
selbstverständlich immer von dem Restreben geleitet, die Differenzen 
zwischen uns und Italien auszugleichen. Giolitti hat zu meiner großen 
Refriedigung nebst einem warmen Eintreten für den Dreibund sich auch 
speziell den von mir wiederholt ausgesprochenen Satz zu eigen gemacht, 
daß nämlich die Differenzen zwischen uns und Italien keine solchen 
sind, daß sie nicht mit einigem guten Willen überbrückt werden könnten. 
Trotz des Eintretens Giolittis für den Dreibund und des Umstandes, 
daß unsere Allianz bis zum Jahre 1914 dauert, ist die Frage in den 
gegenwärtigen ernsten Zeiten wohl am Platze, ob wir uns im Notfälle 
auf diesen unseren Dritten im Runde wirklich werden verlassen kön¬ 
nen. Ihre Ansicht darüber zu hören, wäre mir von großem Interesse. 
Bekanntlich sind alle unsere Vorbereitungen für den Fall eines euro¬ 
päischen Konfliktes auf der Grundlage des Dreibundvertrages auf gebaut. 
Ich möchte die Ansicht aussprechen, daß es vielleicht nicht überflüssig 
wäre, wenn im Laufe des Winters General von Moltke und General der 
Infanterie von Conrad über eine solche Eventualität in einen schrift¬ 
lichen Gedankenaustausch miteinander treten könnten, welcher die Sup- 
position einer Neutralität Italiens in Betracht ziehen würde. Wenn Sie 
meine Ansicht richtig finden, so würde ich nach Einholung der Be¬ 
fehle Seiner Majestät meines allergnädigsten Herrn mit General der 
i) Am 8. Dezember 1908 hatte Fürst Bülow sich im Reichstage über die außen¬ 
politische Lage in einer größeren Rede ausgelassen. Er unterstrich in ihr neben der 
Zurückhaltung Deutschlands in orientalischen Dingen die „Treue zu: dem uns verbün¬ 
deten Österreich-Ungarn“. Allerdings klang ein leises Monitum, durch, wenn Fürst 
Bülow hervorhob: „Wir sind von der Absicht der österreichisch-ungarischen Regierung, 
die Okkupation Bosniens und der Herzegowina in eine Annexion zu verwandeln, un¬ 
gefähr gleichzeitig mit Italien und Rußland unterrichtet worden. Der Zeitpunkt und 
die Form der Annexion waren uns allerdings vorher nicht bekannt. Ich denke nicht 
daran, das dem Wiener Kabinett übel zu nehmen. Offen gestanden: Ich bin ihm sogar 
dankbar dafür. Die österreichisch-ungarische Monarchie kann und muß selbständig be¬ 
urteilen, welche Fragen für sie Lebensfragen sind und wie sie solche Lebensfragen be¬ 
handeln will. Dann aber betont Fürst Bülow: „Wir haben keinen Augenblick gezögert, 
nicht nur nichts zu tun, was den österreichisch-ungarischen Interessen hinderlich wäre, 
sondern auch diese Interessen nach Möglichkeit zu unterstützen.“ Im weiteren Verlauf 
seiner Rede berührt Fürst Bülow auch die österreichisch-italienischen Beziehungen 
unter Hinweis auf einen Ausspruch des früheren italienischen Botschafters in Wien 
Graf Nigra: Italien könne mit Österreich-Ungarn nur verbündet oder befeindet sein, 
und auf eine dreibundfreundliche Rede des italienischen Ministerpräsidenten Giolitti. 
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