Nr. 957.
Sir H. Rumbold an Sir Edward Grey.*)
Erhalten 27. Juli.
Nr. 299. Berlin, den 22. Juli 1914.
Euerer Exzellenz
beehre ich mich zu berichten, daß, als ich Herrn von Jagow an seinem
gestrigen Empfangstage spät nachmittags sah, er von selbst die Sprache
auf die Demarche brachte, die seitens der österreichisch-ungarischen
Regierung in Belgrad bevorstehe. Er hatte offenbar erwartet, daß die
österreichisch-ungarische Regierung den Schritt inzwischen unternom¬
men haben würde.
Ich sagte, daß ich mit Interesse das Communiqué gelesen hätte, das
am 20. d. Mts. in der „Norddeutschen Zeitung“* 2) erschienen sei3).
Herr von Jagow erwiderte, dies Communiqué gäbe die Ansichten der
deutschen Regierung getreu wieder. Er könne mir sagen, daß er es
eigentlich selbst entworfen habe. Seine Exzellenz bemerkte beiläufig, er
wisse, wenn auch die deutsche Börse schwach gewesen und es noch sei,
doch ganz bestimmt, daß diese Schwäche auf die Machenschaften von
Spekulanten zurückzuführen sei.
Herr von Jagow behauptete mit großem Nachdruck, daß die zwischen
Österreich-Ungarn und Serbien schwebende Frage nur
diese beiden Länder allein angehe. Österreich-Ungarn fühle,
daß es die Sache mit Serbien ausfechten müsse, und er sah keinen Grund,
warum sich dritte Parteien einmischen sollten. Bei dieser Auffassung
fand er nicht, daß er sich hinsichtlich der bevorstehenden Demarche der
österreichisch-ungarischen Regierung gegenüber irgendwie hätte äußern
können.
Seine Exzellenz erklärte, daß er die serbische Regierung nicht der
direkten Mitschuld an dem Anschlag beschuldige, der zur Ermordung
des Erzherzogs geführt habe, er sei jedoch der Ansicht, daß die
serbische Regierung infolge ihrer Duldung der unge¬
zügelten Auslassung eines Teiles der serbischen Presse für die
Schaffung einer Lage mitverantwortlich sei, die das Verbrechen ermög¬
lichte. Er habe dem serbischen Gesandten 4) wieder und wieder gesagt, es
sei sehr erwünscht, daß Serbien seine Beziehungen zu Österreich-Ungarn
in das richtige Verhältnis bringe und Maßnahmen treffe, um die ser¬
bische Presse zu überwachen. Der Gesandte habe entgegnet, die Presse
*) Britische Dokumente Bd. I, Nr. i58, S. 178.
2) Genauer: in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“.
3) Vgl. Nr. 78, 77.
4) Muß heißen: Geschäftsträger.
35 Boghitschewitsch, Serbien II.
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