Österreich and Italien nicht gestatten, und daß sich die beiden letzteren
in das neue Fürstentum teilten, sei gleichfalls unmöglich, da weder die
Monarchie ein Interesse daran habe, Kolonien auf dem Balkan zu be¬
sitzen, noch auch Italien gegenüber erlauben könnte, die Hand nach Va-
lona auszustrecken. Die einzige Lösung sei die Entsendung eines inter¬
nationalen Korps von wenigstens 60000 Mann, das unter den Albanesen
Ruhe schaffe, indem es sie entwaffne und wenigstens 10 Jahre lang in
ihrem Lande bleibe. Auch das würde nicht leicht zu verwirklichen sein,
da nicht alle Großmächte mit einer solchen (Ziffer unleserlich) einver¬
standen sein würden, und selbst, wenn sie einverstanden wären, würden
sie so gegeneinander intrigieren, daß der Effekt gerade dem angestrebten
Ziele entgegengesetzt sein würde.
Nach dieser kleinen Abschweifung wandte sich Marquis Pallavicini
wieder dem Morde in Sarajewo zu. Er ist überzeugt, daß eines der Re¬
sultate dieses Verbrechens eine allgemeine Abkühlung gegenüber dem
offiziellen Serbien sein werde, da niemand mehr zweifle, daß die Regie¬
renden in Belgrad bei dem vollbrachten Attentat ihre Hand im Spiele ge¬
habt hätten. In England, wo sich das Königreich Serbien auch ohnedies
nicht besonderer Sympathien erfreue, würde jetzt die Stimmung noch
weniger Serbien günstig sein. Großen Einfluß würde das Attentat auch
in Berlin ausüben, wo man ein gewisses Wohlwollen Belgrad gegenüber
zu zeigen angefangen habe. Marquis Pallavicini meinte sogar, es werde
gar nicht gut auf die serbenfreundlichen Gefühle wirken, die man in
Rumänien hege, wo der verstorbene Thronfolger sich dank seiner be¬
kannten Schwäche für das rumänische Volk überhaupt wirklicher Sym¬
pathien erfreut habe.
Über den jungen Thronfolger äußerte sich Marquis Pallavicini, er sei
intelligent und vielversprechend, vom politischen Gesichtspunkte aus sei
er jetzt ein verschlossenes Buch.
Betreffs eines eventuellen Wechsels in der Wiener Regierung, infolge
des eingetretenen Ereignisses, sieht der Herr Botschafter keine beson¬
deren Gründe, die einen solchen Wechsel motivieren könnten. Im Gegen¬
teil würde jetzt mit dem Verschwinden eines so wichtigen Faktors, wie
es der ermordete Thronfolger gewesen sei, Graf Berchtold viel selbstän¬
diger sein, da es niemanden gebe, der sich in seine Arbeit einmische.
Und wenn auch irgendein Wechsel käme, werde er wahrscheinlich erst im
Herbst stattfinden. Es würde nicht zu verwundern sein, wenn eines Tages
Graf Tisza zur Macht käme, obwohl dem Kaiser sehr an seinem Ver¬
bleiben an der Spitze der ungarischen Regierung liege, bis die wichtigen
Reformen im Königreiche durchgeführt seien.
Aus anderer Quelle erfahre ich, daß unter den möglichen Nachfolgern
des Grafen Berchtold auch der Name des Marquis Pallavicini genannt
werde.
A. Toscheff.
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