Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Nr. g38. 
Der bulgarische Gesandte Toscheff, Konstantinopel, 
an das Ministerium des Äußern in Sofia.x) 
c i 20. JlUli , 
oona, den—ö-t T. iqi/h 
o.Juli 
Marquis Pallavicini* 2), den ich heute sah, sagte mir, er befürchte, die 
Ermordung des österreichischen Thronfolgers werde gefährliche Folgen 
für die innere und äußere Politik der Monarchie nach sich ziehen. Bezüg¬ 
lich der inneren Politik fürchtet er, die antiserbische und bis zu einem 
gewissen Grade auch antirumänische Bewegung möchte hauptsächlich von 
seiten der Ungarn eine Verstärkung erfahren, die in der Person des auf 
tragische Weise umgekommenen Thronfolgers mit Recht einen Be¬ 
schützer der Rumänen und sogar auch der Serben ge¬ 
sehen hätten. Das sei auch die Hauptursache gewesen, weshalb der 
Erzherzog Franz Ferdinand sich nicht der Sympathien der Ungarn er¬ 
freut habe. Insbesondere hätten diese nichts von dem sogenannten Tria¬ 
lismus hören wollen, der einen der politischen Träume des verstorbenen 
Fürsten gebildet habe. Mit der Verwirklichung dieser Idee habe er ein 
noch größeres Gleichgewicht zwischen Österreich und Ungarn und eine 
Minderung des Ansehens des serbischen Elements außerhalb der Grenzen 
des Kaiserreichs durch Stärkung desselben Elements im Reiche selbst 
verfolgt. 
Marquis Pallavicini befürchtet, der Haß, der sich seit Jahren gegen die 
Serben hauptsächlich in Bosnien und der Herzegowina aufgehäuft habe, 
möchte sich in einer Weise äußern, die ernste innere Unruhen herbei¬ 
führen könnte. Alle diejenigen Elemente, ohne Unterschied der Religion 
und der Nationalität, die aus dem einen oder anderen Grunde Haß 
gegen einzelne Serben nähren, würden selbstverständlich die Gelegenheit 
benutzen, um sich zu rächen, indem sie sich dabei zu Plünderungen 
und allen möglichen anderen Ausschreitungen hinreißen ließen. 
Vom Gesichtspunkte der äußeren Politik aus befürchtet der Herr Bot¬ 
schafter die Komplikationen, die mit der formellen Abdankung des 
Königs Peter, mit der Vereinigung Serbiens mit Montenegro sowie auch 
mit der obligatorischen und endgültigen Lösung der albanischen Frage 
eintreten könnten. Der Funken könnte leicht gerade von der Seite auf- 
kommen und diesmal auch außerhalb der Balkanhalbinsel einen Brand 
entzünden. Dies bilde heute den schwärzesten Punkt am Horizonte. Daß 
Albanien zwischen Serbien und Griechenland geteilt würde, würden 
*) Bulgarisches Orangebuch Bd. I, Nr. 191, S. 109. 
Deutsche Übersetzung „Kriegsschuldfrage“, März 1928. 
2) Österreichisch-ungarischer Botschafter in Konstantinopel. 
523
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.