Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

tigung der neuen Grenzlinie mit serbischen Offizieren heraus und fassen 
jedes Serbien ungünstige Urteil als persönliche Beleidigung auf. 
Dabei gehen ihre Forderungen viel weiter als die der Serben selbst. 
Man sieht daraus, daß die Serben sich infolge des österreichischen Ulti¬ 
matums1) bis an die Linie zurückgezogen haben, die sie als die neue 
Grenze betrachten. Diese Linie entspricht auch fast genau der von der 
Majorität geforderten. Die Minorität geht aber in ihren Forderungen 
wenigstens hier bei Dibra weit über diese Linie hinaus, ist also serben¬ 
freundlicher als die Serben selber. 
Zwischen dem sehr ruhigen und vornehmen Engländer und dem Fran¬ 
zosen kam es vor einigen Tagen beim Essen infolge einer taktlosen Be¬ 
merkung des letzteren zu einer sehr scharfen Zurechtweisung von seiten 
des Engländers. Er verlangte durch Potapow eine formelle Entschuldi¬ 
gung des Franzosen, die dieser dann auch gegeben hat. 
Die Majorität beabsichtigt, wie ich bereits telegraphierte, nach Voll¬ 
endung der hiesigen Grenzen direkt nach Prisren zu gehen, da das da¬ 
zwischen liegende Korabgebirge völlig unter Schnee und Eis liegt. Nach¬ 
richten erreichen mich dort, österreichisches Konsulat. 
In Dibra befindet sich das 19. Infanterieregiment, das hier in Gar¬ 
nison verbleibt. Nach Norden schließt im Rekadistrikt das 7. Regiment 
an. Mein früheres günstiges Urteil über die militärischen Eigenschaf¬ 
ten der serbischen Soldaten kann ich durchaus aufrechterhalten. Ihre 
moralischen Qualitäten muß man allerdings mit orientalischen Augen 
ansehen, um sie würdigen zu können. 
Die Serben halten nach wie vor die Grenze durch eine dichte Vor¬ 
postenkette gesperrt und verweigern jedem Albaner den Zutritt. Sobald 
man die Grenze überschreitet, trifft man auf Albaner, die die Kom¬ 
mission bitten, ihnen die Rückkehr in ihre Dörfer zu ermöglichen, was 
wir leider nicht können. 
Dibra, vor kurzem eine Stadt von über 3oooo Einwohner, ist völlig 
verlassen. Nur ein kleines serbisches Viertel ist bewohnt. Die Häuser 
sind nicht zerstört, aber bis auf das letzte ausgeplündert. 
Die Serben haben ein großes Glück gehabt, daß die Albaner diesen 
unglückseligen Aufstand unternahmen. Indem sie alle Albaner ohne 
Unterschied als Rebellen erklärten und jeden, ob bewaffnet oder nicht, 
ohne Gnade niederschossen, veranlaßten sie diese ungeheure Panik, die 
sie mit einem Schlage von einer mißliebigen Bevölkerung von über 
100000 Menschen befreite. Mit rücksichtsloser Zielbewußtheit und ohne 
sich um das philantropische Wehgeschrei Europas zu kümmern, zogen 
sie die von ihrem Standpunkt einzig richtige Konsequenz. 
In der Umgebung von Dibra ist fast jedes Dorf eine völlige Brand¬ 
stätte. Dazwischen finden sich einzelne wohlbehaltene serbische Dörfer. 
') Vgl. dazu Kap. CCLXXX. 
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