Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Viele Ortschaften sind völlig zerstört, die Ernte steht noch auf den 
Feldern und verkommt, weil alle Einwohner geflohen sind. Serbische 
Soldaten plündern, was noch da ist, und erpressen gelegentlich Geld von 
armen türkischen Weibern, wovon ich selbst Augenzeuge war. In Ochrida 
und Struga stehen die mohamedanischen Stadtteile gänzlich leer. Aller¬ 
dings kann man es den Serben nicht verdenken, wenn sie sich von die¬ 
sem unzuverlässigen und nicht assimilierbaren Volksstamme befreien 
wollen. 
Trotzdem die serbischen Soldaten aussehen wie die Komitatschis, 
machen sie doch militärisch einen vortrefflichen Eindruck. Die Vorposten 
hier im Gebirge wohnen in Erdlöchern inmitten von Eis und Schnee und 
werden alle acht Tage abgelöst. Die Löhnung ist äußerst gering. Trotz¬ 
dem sah ich nirgends unzufriedene Gesichter, sondern stets das lebhaf¬ 
teste Interesse jedes Soldaten an der neuen Grenze des größeren Ser¬ 
biens. Den Vorgesetzten, auch den sehr jungen Unteroffizieren, gehorch¬ 
ten sie auf den Wink. Die beiden glücklichen Kriege haben pflicht¬ 
getreue und gut disziplinierte Soldaten aus denselben Menschen ge¬ 
macht, die wahrscheinlich nach einem verlorenen Feldzuge jetzt als f eiges 
und unmoralisches Gesindel verrufen wären. Der Erfolg adelt, auch 
im militärischen Sinne. Die Serben zeigen sich von großer Zuvorkom¬ 
menheit gegen uns. Sie haben uns ihre Militärpost zur Verfügung ge¬ 
stellt, die stets über unseren Aufenthalt unterrichtet ist. Briefe und Tele¬ 
gramme erreichen mich daher jetzt am schnellsten Ochrida, serbische 
Militärpost. Allerdings scheinen die Serben die Briefe zu erbrechen. Die 
beiden letzten Briefe vom Auswärtigen Amt, der eine mit der Karte der 
Grenze, der andere mit einer Vorschußangelegenheit, hatten beide Spuren 
einer gewaltsamen Öffnung. Ich bitte daher, wichtige Angelegenheiten 
auch im eingeschriebenen Briefe zu chiffrieren. Diesen Brief werde ich 
mit direktem Boten nach Saklonik schicken. 
Der die Kommission begleitende italienische Konsul von Üsküb, Ga¬ 
lanti, hat in Struga einen serbischen Militärposten unverschämt genannt, 
worauf gestern ein Brief an Marafini kam, der den Italienern die wei¬ 
tere Benutzung der Militärpost untersagte. Darob große Entrüstung der 
Italiener, Telegramme nach Rom, diplomatischer Zwischenfall. 
Die österreichische Karte des Balkans in 1:200000 ist, soweit 
ich sie verfolgen konnte, nur unmittelbar auf den Hauptstraßen zuver¬ 
lässig. So ist zum Beispiel das Dorf Gorni Belica, in welchem wir uns 
seit drei Tagen befinden und das etwa 600 Einwohner hat, auf der Karte 
mit einem Fragezeichen versehen und befindet sich auch an falscher 
Stelle. 
Die Gebirge sind gänzlich phantasievoll dargestellt. Die Serben haben 
schon mit der Herstellung einer Karte ihres neuen Besitzes begonnen. 
Eine Karte von Albanien wollen im nächsten Jahre sowohl Österreich wie 
Italien beginnen. Hoffentlich einigen sie sich wenigstens in diesem Kul¬
	        
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