Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

der Friedensverhandlungen in Bukarest hat Paschitsch der Türkei vor¬ 
geschlagen, Adrianopel und Ost-Thrakien zu besetzen, wobei er auch er¬ 
klärte, daß sich die Russen dem keineswegs widersetzen würden. Und 
tatsächlich, als dies damals geschah, hat sich Rußland nur dem Scheine 
nach widersetzt. Im Falle eines Krieges könnten — alles nach Paschitschs 
Ansicht — die Türken ganz Südbulgarien okkupieren, zumal in einem 
solchen Falle es niemanden geben würde, der ihnen entgegentreten 
würde, und auch Serbien keinen Grund hätte, die Bulgaren zu schonen, 
sobald man die Sache mit Bukarest besprochen hätte. Schon gleich nach 
dem Frieden von Bukarest hatten sich die Bulgaren in die Arme Öster¬ 
reichs geworfen. Wenn auch die Türken, wie davon die Rede war, ein 
Bündnis mit Bulgarien schließen würden, so würde das sicherlich die 
Russen schwer verstimmen. Was die Inseln längst der asiatischen Küste 
betrifft, so hatte Paschitsch Grund zu glauben, daß sie der Türkei ab¬ 
getreten werden. 
Im Gespräche mit Talaat über obiges sagte er mir, daß ihm damit 
übereinstimmende Vorschläge an die türkische Regierung durch Pawlo- 
witsch gemacht worden sind, bevor die Linie Enos—Midia durch die 
türkischen Truppen besetzt wurde. Neben anderem hatten die Serben 
damals vorgeschlagen, daß die Türken Südbulgarien zusammen mit 
ganz Thrakien bis Mesta nehmen, damit es Serbien erleichtert würde, 
sich in Kawala einzuquartieren. Die Pforte hatte damals diese Vor¬ 
schläge angenommen, als man jedoch daran ging, diese Vorschläge 
schwarz auf weiß zu präzisieren, ließen die Serben nichts mehr von sich 
hören. 
Im Zusammenhänge mit obigem erachte ich es für zweckmäßig, Ihnen 
noch etwas mitzuteilen, was mir der österreichische Geschäftsträger Lö¬ 
wenthal gesagt hat. Er habe erfahren, daß vor ungefähr zwanzig Tagen 
der Großvezier den russischen Botschafter Giers gebeten habe, der ser¬ 
bischen Regierung die Bereitwilligkeit der Türkei zur Kenntnis zu brin¬ 
gen, ein Übereinkommen mit Serbien abzuschließen, wonach für den 
Fall, daß Serbien in einem etwaigen türkisch-griechischen Kriege neutral 
bleiben sollte, es dafür Lerina und Wrodeno erhalten würde. Giers be¬ 
schränkte sich jedoch, dies Popowitsch mitzuteilen, der seinerseits er¬ 
klärte, nicht bevollmächtigt zu sein, Fragen dieses Charakters zu er¬ 
örtern. 
Als mir Loewenthal dies mitteilte, fügte er hinzu, daß er an diese Mit¬ 
teilung, obwohl er sie aus guter Quelle habe, nicht glaube. Augenschein¬ 
lich hat die Sache etwas Unwahrscheinliches an sich. Daß Dimitriewitsch 
und Popowitsch bloß in obiger Mission nach Belgrad gefahren sind, er¬ 
scheint naiv. Vielmehr ist eher anzunehmen, daß die Serben gewisse 
Vorschläge gemacht und daß sie fortfahren, der Türkei alle möglichen 
Vorschläge zu machen, deren Spitze sich gegen uns richtet. Wahrschein¬
	        
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