Auszug:
Jalta, den
24. Oktober
6. November
i9l3-
„Da der schlechte Zustand meiner Gesundheit mich zu einer Badereise
nach Vichy veranlaßte, habe ich mit Genehmigung Eurer Majestät einen
kurzen Aufenthalt in Paris benutzt, um die hauptsächlichsten Vertreter
der französischen Regierung aufzusuchen.
In Herrn Poincare, dem Präsidenten der Republik, fand ich, wie früher,
einen glühenden und überzeugten Anhänger eines engen Bündnisses
zwischen Frankreich und Rußland und eines ununterbrochenen Meinungs¬
austausches zwischen den beiden Alliierten über alle wichtigen Fragen
der internationalen Politik. Dieselbe Gesinnung konnte ich bei dem
Ministerpräsidenten, Herrn Barthou, und bei dem Außenminister, Herrn
Pichon, feststellen.
In einer Unterredung mit letzterem habe ich alle Tagesfragen ein¬
gehend besprochen, ohne auf eine Verschiedenheit unserer Ansichten zu
stoßen.
Mein Aufenthalt in Paris fiel zusammen mit der neuen Verschärfung
der österreichisch-serbischen Beziehungen infolge der Besetzung mehrerer
strategischer Punkte auf albanischem Gebiet durch serbische Truppen.
In der Befürchtung, Österreich-Ungarn könnte der Versuchung erliegen,
sich auf diesem Gebiet einen leichten diplomatischen Erfolg zu ver¬
schaffen, haben wir, Pichon und ich, dem serbischen Gesandten den R.at
gegeben, er solle seine Regierung benachrichtigen, daß es vorzuziehen
wäre, gegebenenfalls den freundschaftlichen Vorstellungen Rußlands und
Frankreichs nachzugeben, als erst die Drohungen Österreichs abzuwarten.
Herr Wesnitsch teilte vollkommen diesen Standpunkt und telegra¬
phierte in diesem Sinne sofort nach Belgrad, aber das Wiener Kabinett
ließ der serbischen Regierung nicht Zeit, die beabsichtigten Maßregeln
zu ergreifen, und sandte schon am folgenden Tage ein sehr schroffes
Ultimatum.
Ich war Zeuge der rückhaltlosen Mißbilligung, die dieser Schritt
Österreichs bei der französischen Regierung und im französischen Volke
fand, und ich habe den für Serbien günstigen Moment benutzt, Pichon
zu überreden, diesem Lande für die von ihm bewiesene Klugheit sich er¬
kenntlich zu zeigen. Ich deutete an, daß Frankreich selbst an einer Er¬
starkung Serbiens Interesse habe, denn im Falle schwerer inter¬
nationaler Konflikte würde dieses notgedrungen auf
seiten Frankreichs stehen, da es naturgemäß ein Feind
des bedeutendsten Verbündeten Deutschlands sei. Herr Pi¬
chon versprach mir, er wolle seinen Einfluß daransetzen, daß die ser¬
bische Anleihe bald an der Pariser Börse zustande käme.“
30 Boghitschewitsch, Serbien II.
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