Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

der serbischen Bevölkerung der Monarchie durch das gleiche Mittel 
einer ehrlichen Annäherung an Serbien unschädlich zu machen. 
Graf Berchtold hörte mich ruhig an und bemerkte dann, der Schlüssel 
der Lage liege leider nicht in Wien, sondern in Belgrad. (!) Hier seien 
wohl alle ausschlaggebenden Faktoren darüber einig, 
daß in der Vergangenheit in bezug auf das Verhältnis zu 
dem benachbarten Serbien viele und große Fehler be¬ 
gangen worden seien. Jetzt hätten alle hier, und in erster Linie 
den besten Willen, mit Serbien sich gut zu stellen. Nur würden alle Ver¬ 
suche, diesen guten Willen praktisch zur Ausführung zu bringen, daran 
scheitern, daß die Serben eine ehrliche Aussöhnung mit 
Österreich-Ungarn nicht wollen*). Als er von Petersburg hier¬ 
her an den Ballplatz gekommen sei, habe er zwar kein allgemeines poli¬ 
tisches Programm mitgebracht, doch habe ihm als erstes und hauptsäch¬ 
liches Ziel vorgeschwebt, endlich mit Serbien in ein gutes Verhältnis zu 
kommen, nachdem er als Botschafter an der Newa die üblen Folgen und 
die dauernden Unannehmlichkeiten habe durchkosten müssen, die der 
Monarchie, besonders in ihren Beziehungen zu Rußland, durch die Rei¬ 
bungen zwischen Wien und Belgrad erwachsen. Die Arbeit eines Jahres 
hier als auswärtiger Minister habe ihm zu seinem lebhaften Bedauern ge¬ 
zeigt, daß alle Mühe vergeblich sei, und daß weder die 
in Belgrad herrschende Dynastie noch das serbische 
Volk(?) den Willen hätten, einen ehrlichen Frieden mit 
Österreich zu machen. Die Serben seien phantastisch in ihren po¬ 
litischen Plänen wie mehr oder weniger alle Südslawen. Sie träumten 
von einem großserbischen Reiche; der Realisierung dieses Traumes ord¬ 
neten sie alle ihre Entschlüsse unter und sie würden niemals — wenig¬ 
stens nicht durch ruhige Überredung — auf die Idee der Angliederung 
der südslawischen Provinzen an ihr Reich verzichten. Das hätten schon 
die Erfahrungen der Jahre 1908 bis 1909 gezeigt. Durch die An¬ 
nexion Bosniens und der Herzegowina, durch die kein eigentliches ser¬ 
bisches Interesse betroffen, wohl aber eben der serbische Traum eines 
großen Serbenreiches bis Triest und zur Drau zerstört worden sei, sei 
bekanntlich damals ein elementarer Ausbruch von Wut und Haß gegen 
die Monarchie ausgelöst worden. Man müsse die serbische Volksseele 
kennen, um die serbische Politik, ihre Mittel und ihre Aspirationen zu 
verstehen. Wenn Österreich sich jetzt auf die Seite Serbiens stellen 
wollte, so müßte es, um Serbien zu befriedigen, für dessen Stärkung und 
Vergrößerung ein treten. Das könne aber kein österreichischer Staats¬ 
mann tun. Abgesehen davon, daß eine solche Politik die öffentliche Mei¬ 
nung in Österreich und in Ungarn, mit Ausnahme einiger (?) Tschechen 
und der Südslawen, gegen sich haben würde, sei sie auch direkt gefähr¬ 
lich. Man würde damit nur das große südslawische Reich gründen 
helfen. 
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