Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Allein, man könne noch nichts prognostizieren; alles hänge von der 
Haltung der Skupschtina ab. Für den Fall, daß auch diese, von der 
Volksstimmung hingerissen, die Regierung zu extremen Maßnahmen 
drängen sollte, sieht Herr Milowanowitsch sehr dunkel in die Zukunft. 
Auf meine Frage, was die serbische Regierung mit der in ihrer Pro¬ 
testnote an die Signatarmächte verlangten Kompensation meinte, er¬ 
widerte Herr Milowanowitsch, daß sie bestimmte Wünsche nicht habe 
Vorbringen wollen. Die habe mit dem Protest die Aufmerksamkeit der 
Großmächte auf die jetzt gegenüber dem Berliner Vertrage völlig ver¬ 
änderten Verhältnisse aufmerksam machen und mit dem Wunsche 
nach Kompensation das Gerechtigkeitsgefühl der Großmächte nach der 
Richtung hin erwecken wollen, daß Serbien für seine bisher stets beb 
zeigte Ruhe und Einsicht jetzt auch auf eine Art Entschädigung An¬ 
spruch hätte. Einen bestimmt formulierten Wunsch hätte sie aus Be¬ 
scheidenheit nicht gestellt. 
Meiner Ansicht nach wollte die serbische Regierung mit der Protest¬ 
note hauptsächlich dem eigenen Lande gegenüber zeigen, daß sie die 
Hände nicht in den Schoß lege, und damit gleichzeitig auf die Ge¬ 
müter beruhigend einwirken. 
Bezüglich1 der Kompensation hört man hier vielfach die Ansicht, daß 
Serbien die von Österreich1 verlassenen Gebiete im Sandschak erhalten 
möchte. 
Auf meine Frage, was erfolgen würde, wenn die Großmächte Ser¬ 
biens Wunsch nach einer Kompensation nicht erfüllten, zuckte der 
Minister nur mit den Achseln und meinte, das sei absolut nicht vorher¬ 
zusagen. 
Herr Paschitsch macht sich wieder sehr bemerkbar, und es ist 
nicht ausgeschlossen, daß, falls wegen des Ernstes der Lage ein neues 
Kabinett aus den stärksten Kräften aller Parteien gebildet werden sollte, 
er in dasselbe eintritt. 
Ob er aber nach seinen früheren Agitationen in Bosnien ein kal- 
mierendes Element sein wird, erscheint sehr zweifelhaft. Lippe. 
Nr. 433. 
Der Botschafter in Konstantinopel Freiherr von 
Marschall an das Auswärtige Amt.*) 
Telegramm. Entzifferung. 
Nr. 344. Therapia, den 9. Oktober 1908. 
Der serbische Gesandte Nenadowitsch, den ich gestern auf der 
Pforte traf, sagte mir mit vor Aufregung zitternder Stimme: „Die 
1) Die große Politik Bd. 26 (I. Hälfte) Nr. 9095 S. 245. 
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