Nr. 745.
Streng vertrauliches Schreiben des russischen Außen¬
ministers an den russischen Botschafter in London1)
3o. November
VOm i3.Dezember J912-
Nr. 848.
Die in London gleichzeitig mit der Botschafterkonferenz beginnenden
Friedensverhandlungen zwischen den kriegführenden Mächten werden es
wahrscheinlich für Sie notwendig machen, in eine ständige und ziemlich
enge Fühlungnahme mit letzteren zu treten. Ich halte es deshalb für er¬
forderlich, Ihre Aufmerksamkeit erneut auf die Ihnen schon aus der
vorhergehenden Korrespondenz bekannten allgemeinen Richtlinien zu
lenken, welche wir unwandelbar den Balkanstaaten und der Türkei gegen¬
über befolgen.
Wie während des Krieges alle unsere Bestrebungen darauf gerichtet
waren, den Krieg zu lokalisieren, da hierdurch für die Balkan-
alliierten die günstigsten Bedingungen in ihrem Kampf mit dem gemein¬
samen Feind geschaffen wurden, so sind wir jetzt, da es sich um die
Friedensbedingungen handelt, die der Krise auf dem Balkan ein Ende
setzen sollen, bemüht, das Resultat des Krieges möglichst zu
lokalisieren, mit anderen Worten, die Einmischung der Mächte in
den abzuschließenden Friedensvertrag soweit wie irgend möglich zu be¬
schränken.
Einerseits rechnen wir mit der Notwendigkeit, der besonderen Stellung
Österreichs Rechnung zu tragen, sowie denjenigen seiner Interessen, zu
deren Verteidigung es auf die Unterstützung seiner Bundesgenossen rech¬
nen kann; gleichzeitig aber haben wir es uns zur Aufgabe gestellt, uns
dem wahrscheinlichen Streben Österreichs entgegenzusetzen, alle Mittel
zu benutzen, um für sich einen vorherrschenden oder sogar ausschlie߬
lichen Einfluß zu erlangen.
Diese Grundlage der uns gestellten Aufgaben zieht sich wie ein roter
Faden durch alle Fragen, für die eine Lösung gefunden werden muß.
Sie wird nicht durch eine vorsätzliche Feindseligkeit Österreich-Ungarn
gegenüber hervorgerufen und noch weniger durch irgendeine ehrgeizige
Erwägung. Im Gegenteil, wir würden gerne bei einer ruhigen Beurtei¬
lung der zur Diskussion stehenden Fragen nach Möglichkeit jeden Anlaß
einer unnützen Erregung ausschalten, einer Erregung, welche gefährliche
Reibungen hervorrufen kann, und unserer Bereitwilligkeit, der Eigen¬
liebe Österreichs entgegenzukommen, Ausdruck verleihen. Wir sind der
Ansicht, daß wir durch ein derartiges Entgegenkommen
*) Graf Benckendorff Bd.II, Nr. 761, S. öagff.
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