Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

übertriebene Bedeutung beimessen, man könne aber nie wissen, wohin 
sie führten, namentlich da die Angelegenheit des mißhandelten Kon¬ 
suls1) noch immer nicht beigelegt wäre. 
Der Minister will dem Grafen Mensdorff, der morgen früh nach Wien 
reist, weil Graf Berchtold ihn gerufen hat, noch besonders einprägen, 
daß er in Wien zur Mäßigung und Ruhe raten ließe, um zu verhindern, 
daß noch vor der Botschafterbesprechung sich Zwischenfälle ereigneten. 
Dem serbischen Geschäftsträger2), der seinen Rat erbeten hat ange- 
27. November in Bd. 33, Kap. CGLXV, Nr. 12 455), war aber am 9. Dezember 
überholt. Wie der französische Kriegsminister selbst zugab, handelte es sich dabei um 
„vielleicht bereits veraltete Nachrichten“. Die ganz übertriebenen Besorgnisse, die 
Poincaré am 11. Dezember gegenüber Iswolsky, „infolge der von allen Seiten und 
aus den ernstesten Quellen zu ihm gelangenden Nachrichten über intensive Kriegs¬ 
vorbereitungen Österreichs und über dessen in allernächster Zeit bevorstehendes aktives 
Vorgehen gegen Serbien“ äußerte, werden ad absurdum geführt durch die Telegramme 
des französischen Botschafters in Petersburg Louis vom 12. und 14. Dezember, die alle 
österreichischen Truppenverschiebungen gegen die russische Grenze in Abrede stellen, 
und durch ein Telegramm des Botschafters Dumaine in Wien vom 11. Dezember, in 
dem es über die wirkliche Ursache der österreichischen militärischen Maßregeln heißt: 
„La cause des armements de l’Autriche-Hongrie se précise. Des comités serbes préparent 
activement une insurrection en Bosnie sans qu’on puisse savoir ici si leurs efforts ont 
du succès.“ Französisches Gelbbuch: Les Affaires Balkaniques, II, 7 s., 9s. Am 
12. Dezember konnte auch der französische Geschäftsträger in London de Fleuriau 
Poincaré melden, daß Graf Berchtold tags zuvor dem englischen Botschafter 
F. Cartwright gesagt habe „que le Gouvernement austro-hongrois ne prendrait aucune 
initiative à l’égard de la Serbie tant que dureraient les négociations de la paix turco- 
balkanique, mais que, cette paix une fois conclue, la situation changerait et au’alors 
l’iAutriche-Hongrie pourrait être amenée à agir sur la Serbie si celle-ci ne consentait 
à tenir compte des intérêts autrichiens“. Daselbst p.9. Daß es Graf Berchtold mit 
dieser Versicherung sehr ernst war und blieb, ergibt sich aus der Antwort, die er am 
9. Januar 1913 dem Generalstabschef Conrad gab, als dieser auf militärische Vor¬ 
bereitungen gegen Serbien (Absendung schwerer Artillerie nach Semlin) drang: „Der 
Kaiser hat mich diesbezüglich gefragt, ich mußte ,n e i n* sagen, weil wir uns den 
Serben gegenüber verpflichtet haben, in der Zeit, während welcher sie verhan¬ 
deln, keine feindseligen Maßregeln zu ergreifen; es wäre also Wortbruch.“ Feld¬ 
marschall Conrad, Aus meiner Dienstzeit, III, 77. In Paris freilich erregte es die 
größte Bestürzung, daß der russische Alliierte sich nicht von den kriegerischen Ten¬ 
denzen Österreichs überzeugen lassen wollte und mit entsprechenden Maßregeln zurück¬ 
hielt. Telegramm Iswolskis an Sasonow vom 14- Dezember; Brief an denselben vom 
18. Dezember. Der Diplomatische Schriftwechsel Iswolskis 1911—1914 ed. Fr. Stieve, 
II, 388, 396 ff. Der französische Botschafter in Petersburg Louis gab sich alle Mühe, 
den über die Friedensseligkeit Rußlands schwer beunruhigten Poincaré zu beschwich¬ 
tigen, indem er in einem Brief an ihn vom £0. Dezember (R. Poincaré, Au Service 
de la France, II, 397 s.) ausführte, daß bei einem österreichischen Vorgehen gegen 
Serbien Rußland unweigerlich aus seiner Reserve heraustreten müsse und werde: 
„Cependant il ne peut guère y avoir de doute sur la marche que suivraient les 
événements, si l’Autriche entrait dans les Balkans. Il est possible au’au début, la Russie 
rest immobile et laisse sa rivale engager, de ce côte, le plus de forces possible. C’est 
dans ce sens qu’il faut, sans doute, comprendre ce que l’on a dit à notre attaché 
militaire et que ie vous ai télégraphié: „Que l’on croit que la Russie ne ferait pas la 
guerre, même si l’Autriche attaquait la Serbie“. Soyons sûrs qu’en tout cas, Nicolas II 
ne laissera pas défaire ce qu’on fait ses prédécesseurs. La Russie déclare actuellementé 
que sa mission est accomplie mais elle considérerait que sa mission recommence, s’il 
était porté atteinte à l’indépendance des Etats balkaniques“. Vgl im übrigen auch 
Bd.33, Kap.CCLXV, Nr. 12491, S.468 Anm. 1. 
1) Vgl. dazu Bd. 33, Kap. CCLXV, Nr. 12 3go, Fußnote •). 
2) S. J. Gruitsch. 
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