Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Nr. 712. 
Telegramm des russischen Botschafters in London 
an den russischen Außenminister1) 
vom 5./i8. November 1912. 
Nr. 324. 
Ihr Telegramm Nr. 2607* 2) erhalten. 
Nicolson hat mir ein Telegramm Buchanans vorgelesen, welches über 
Ihre letzten Unterredungen mit den Vertretern Deutschlands und Öster¬ 
reichs berichtet. Er hat mir den Inhalt der Antwort mitgeteilt, die Grey 
Buchanan zu geben gedenkt. Grey mißt der grundsätzlichen Klärung der 
albanischen Frage die größte Bedeutung bei. Nicolson hat diesen Punkt 
betont, da er glaubt, es wäre nicht möglich, mit Erfolg auf 
Österreich einzuwirken, wenn man ihm nicht gleichzei¬ 
tig beruhigende Erklärungen über den Standpunkt der 
Mächte, Rußland einbegriffen, in der albanischen Frage 
geben könne. Ich habe geantwortet, daß Sie in einem Telegramm, 
dessen wesentlichen Inhalt ich Grey mitgeteilt habe, bereits die Mög¬ 
lichkeit eines albanischen Uferstaates zugegeben hätten. Nicolson meinte, 
man müsse dies in Wien erklären; er betrachte es als den wichtig¬ 
sten Punkt und hoffe sehr, daß Sie keine Einwendungen dagegen 
erheben werden. Ich glaube in der Tat, daß, dies im Hinblick auf den 
Hauptpunkt Ihres Télégrammes Nr. 2 54o3) sehr wünschenswert ist. 
Der Standpunkt: „Der Balkan für die Balkan Völker“ wird 
sicherlich auch den Albanern gegenüber angewandt wer¬ 
den. Die Unnachgiebigkeit der Serben macht hier keinen guten Ein¬ 
druck. In Anbetracht der schweren Folgen, die die jetzige Lage nach 
sich ziehen kann, ist die wichtigste, vielleicht die entscheidende Bedin¬ 
gung, was England anlangt, die, daß abgesehen von der größtmöglichen 
Übereinstimmung in den wichtigsten Fragen alles vermieden werde, 
was als eine serbische Provokation ausgelegt werden 
könnte und daß unsere Unterstützung nur unter dieser Bedingung er¬ 
folge; auf diese Weise würden wir die Verantwortlichkeit für eine aggres¬ 
sive Politik so weit als irgend möglich auf Österreich zurückfallen lassen. 
Der Ton Serbiens und Montenegros ruft schon den Ein¬ 
druck hervor, daß die österreichische Regierung sich 
ruhig, sogar geduldig zeigt. Diesem Umstande messe ich die 
größte Bedeutung bei. Diese Erwägung wird in meinem Schreiben, das 
Sie mit dem Kurier erhalten werden, weiter entwickelt. 
Benckendorf f. 
x) Graf Benckendorff Bd. II, Nr. 723, S.492. 
2) Den Text siehe in: ,,Der Diplomatische Schriftwichsel Iswolskis“ II, 347, Nr. 568. 
3) Den Text siehe: ebenda, II, 343, Nr. 563. 
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