Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

nis des Krieges die Integrität des Status quo in der Türkei bedroht wer¬ 
den sollte, ist sowohl ein diplomatisches wie auch militärisches aktives 
Vorgehen Österreichs und Rumäniens nicht ausgeschlossen. Auf diese 
Möglichkeit deuten die kriegerischen Vorbereitungen beider Staaten hin, 
die geräuschlos und vorsichtig getroffen werden, und von denen die Be¬ 
richte unserer Militäragenten in Wien und Bukarest melden. Vom poli¬ 
tischen Standpunkt aus erscheint es zweckmäßig, diesen Maßnahinen 
unsererseits ebensolche gegenüberzustellen, die ebenfalls mit größter 
Vorsicht und möglichst geräuschlos durchzuführen sind. 
Über den seitens des Militärressorts erfolgten Beschluß, solche Ma߬ 
nahmen zu treffen, hat das Kriegsministerium bereits am 4- d. M. in 
der Sitzung des Ministerrats Mitteilung gemacht. 
Es muß aber auch die zweite Möglichkeit berücksichtigt werden, näm¬ 
lich daß die türkische Armee das Übergewicht erhält, oder jedenfalls 
daß die Türkei auf eine Verschleppung des Krieges rech¬ 
nen wird, wodurch die Balkanstaaten in eine kritische 
Lage kommen würden. Daß die Türkei dem diplomatischen Druck 
der Mächte allein nachgeben und auf Bedingungen, die für ihre Gegner 
annehmbar sind, eingehen würde, ist kaum anzunehmen, ganz abgesehen 
von der Schwierigkeit, die Mächte zu einem gemeinsamen Druck zu 
vereinigen. 
Die Vorstellungen unserer Diplomatie werden insoweit ins Gewicht 
fallen, als sie sich auf eine reale Kraft stützen werden. Es muß als 
wesentlich erachtet werden, daß es uns möglich ist, im erforderlichen 
Moment an unserer kaukasischen Grenze über eine solche Kraft zu ver¬ 
fügen, insbesondere mit Rücksicht darauf, daß die Türken einen Teil 
ihrer Truppen von unserer Grenze fort auf den Kriegsschauplatz zu brin¬ 
gen scheinen. 
Es dürften daher, um vorzubeugen, daß wir von den Ereignissen über¬ 
rascht werden, auch in unseren an die Türkei grenzenden Gebieten vor¬ 
sichtige, aber planmäßige Vorbereitungen zur Zeit ebenso zweckmäßig 
erscheinen, wie die oben erwähnten Maßnahmen gegenüber Österreich 
und Rumänien. 
Ich fühle mich verpflichtet, hinzuzufügen, daß, wenn jede überflüs¬ 
sige Verlautbarung und jeder Lärm äußerst unerwünscht sind, es noch 
in größerem Maße für unsere Aufgabe der Wahrung der Interessen 
Rußlands bei Erhaltung des Friedens als wesentlich erscheint, daß wir 
und unsere Rivalen das Bewußtsein haben, daß unsere diplomati¬ 
schen Vorstellungen in gehöriger Weise durch militäri¬ 
sche Kräfte unterstützt werden können. 
In gleicher Weise dürfen wir eine reale Unterstützung Frankreichs 
und Englands höchstwahrscheinlich nur in dem Maße erwarten, als diese 
beiden Mächte mit unserer Bereitschaft zur Übernahme von 
Risikos rechnen können. 
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