Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

des Fürstentums Bulgarien kam. Seit der Okkupation der beiden Pro¬ 
vinzen ist Österreich-Ungarn in Serbien verhaßt geworden, und dieser 
Haß wurde keineswegs dadurch1 gemildert, daß König Milan, teils in 
Erkenntnis der wirklichen Macht Serbiens, teils finanziell vom Wiener 
Hof abhängig, die großserbische Bewegung niederhielt. Diese Politik 
Milans hatte zur Folge, daß der Fürst von Montenegro die Führung 
der großserbischen Bewegung an sich riß und die Blicke der serbischen 
Chauvinisten im Königreich sowie aller serbischen unzufriedenen Ele¬ 
mente in Bosnien und der Herzegowina, Dalmatien, Kroatien-Slawonien 
und Ungarn sich nach Cetinje richteten. 
Diese Verhältnisse dauerten bis zum Untergänge der Dynastie Obreno- 
witsch. Seit der Thronbesteigung Peter Karageorgewitschs änderte sich 
das Bild. Zur Festigung der Position seiner Dynastie be¬ 
günstigte König Peter die großserbische Bewegung. Im 
Jahre 1903 wurde in Belgrad der die Offiziere, Beamte und Parlamen¬ 
tarier umfassende südslawisch-groß serbisch-propagandistische „S1 o- 
wenski Jug“ (Slawischer Süden)1) gegründet, und von da ab ging es 
mit dem „großserbischen Prestige“ des Fürsten Nikita abwärts. Heute 
gravitieren sogar die serbischen Orthodoxen Dalmatiens nach Belgrad, 
und die bekannte von Serbien aus inszenierte Bombenverschwörung ge¬ 
gen den Fürsten Nikita2), mag sie auch weniger gefährlich gewesen sein, 
als man in Cetinje behauptete, ist jedenfalls ein Beweis dafür, daß der 
früher vom Vertrauen des Großserbentums getragene Fürst von Mon¬ 
tenegros in den Augen der großserbischen Chauvinisten ein Hindernis 
für ihre Zukunftspläne geworden war. „Kronzeuge“ im Cetinjer Bom¬ 
benprozeß war bekanntlich1 ein gewisser Georg Nastitsch, ein etwa fünf¬ 
undzwanzigjähriger Publizist aus Monstar und serbischer Orthodoxer. 
Dieser Nastitsch, der im Cetinjer Prozeß sehr kompromittierend selbst 
für höhe Belgrader Kreise aussagte, und von dem die südslawischen 
Chauvinisten behaupten, er sei ein Spion Österreich-Ungarns und agent 
provocateur des kroatischen Banus Rauch, hat kürzlich zu einem Hoch¬ 
verratsprozesse den Anstoß gegeben, der sich in Agram abspielen wird. 
Nastitsch, der gegenwärtig in Agram weilt, aber nicht als Verhafteter, 
sondern als Zeuge, verfaßte in Budapest eine Broschüre „Finale“, in 
der er erzählt, daß er als Anhänger der großserbischen Idee im Früh¬ 
jahr 1907 nach Belgrad kam und dort an den Besprechungen des 
„Slowenski Jug“ zwecks terroristischer Revolutionierung der okku¬ 
pierten Provinzen, Kroatien-Slawoniens und Südungarns teilnahm; bei 
diesen Besprechungen habe ein Verwandter des Königs Peter, Haupt¬ 
mann Nenadowitsch, eine hervorragende Rolle gespielt. Nastitsch will 
eifrig bei der Sache gewesen sein, solange er glaubte, daß die Aktion 
*) Verein, der 1909 auf Verlangen Österreichs aufgelöst wurde. D. V. 
2) Vgl* dazu H. Friedjung, II, S. 207 ff.; L. Mandl a. a. O. S. 36 ff.; Seton- 
Watson a. a. O. S. 192 ff. 
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