Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

In der Folge werde es aber allerdings notwendig werden, dem Landes¬ 
chef*) von Bosnien and der Herzegowina das zu geben, was er für 
Aufrechterhaltung der Ruhe für notwendig erachte. Denn es sei nicht 
zu übersehen, daß sich das gesamte serbische und südslawische Element 
in jenen Gegenden in gefährlicher Erregung befinde, daß schon an 
einigen Stellen Bandenbildung zu beobachten gewesen wäre, und daß 
ein Übergreifen der serbischen Bewegung auf das Gebiet der Monarchie 
höchst wahrscheinlich sei. Er betonte aber nochmals, daß es sich auch 
bei den eventuell zur Verstärkung der Kaders nötig machenden Anord¬ 
nungen keineswegs um eine Mobilmachung, sondern lediglich um Siche¬ 
rung des inneren Friedens handeln werde. 
Auch Rußland gegenüber plädierten die Militärs für vorbereitende 
Maßnahmen an der Grenze. Er sei aber entschieden gegen diese Forde¬ 
rung aufgetreten, obgleich man ihm vorgehalten hätte, daß darin eine 
entschiedene Gefahr läge, weil die russische Kavallerie im Ernstfälle so¬ 
fort ganz Galizien bis zu den Karpathen werde überschwemmen können. 
Trotzdem sei er fest geblieben, weil er wohl wisse, daß ein Schritt von 
seiten Österreich-Ungarns in dieser Richtung einen gleichen auf der an¬ 
deren Seite nach sich ziehen würde und dann die Kugel ins Rollen kom¬ 
men würde. 
Ich könne versichert sein, daß er alles tue, um die Ruhe zu bewahren. 
Von manchen Seiten würde ihm nahegelegt, entweder in Serbien einzu¬ 
marschieren oder wenigstens vor Belgrad zu demonstrieren. Die Leute 
wüßten wohl selbst nicht, wie unsinnig4) das sein und welche Konse¬ 
quenzen ein solcher Schritt nachziehen würde. Wenn die Leute am 
Balkan sich gegenseitig die Köpfe blutig schlagen wollten, so könnten 
sie das tun; er bewahre kaltes Blut und werde sich nach wie vor ab¬ 
wartend verhalten. 
Ich möchte noch bemerken, daß Graf Berchtold im Laufe vorstehen¬ 
der, ganz ungezwungener und freundschaftlicher Unterhaltung betonte, 
daß er selbstverständlich mir gegenüber als Vertreter des engsten Bundes¬ 
genossen ganz offen und rückhaltslos spreche und hoffe, möglichst oft 
mit mir seine Meinung austauschen zu können5). 
von Tschirschky. 
Randbemerkungen Kaiser Wilhelms II.: 
1) UnverschämtI Ist ja beinahe eine Art Ultimatum! 
2) wenn ich eine solche Aufforderung an Sasonow wegen der Probemobilmachung 
und der einbehaltenen Reserven gemacht hätte!? Was hätte Rußland dazu gesagt?! 
3) gut. 
4) richtig! 
ß) sehr gut. 
Schlußbemerkung des Kaisers: 
Gut. 
*) Feldzeugmeister Potiorek. 
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