Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

Nr. 635. 
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Kiderlen 
an Kaiser Wilhelm II., z. Z. in Rominten. *) 
Entzifferung. 
Telegramm Berlin, den 4- Oktober 1912. 
Nr. 74. 
Euerer Majestät Botschafter in Konstantinopel meldet1 2): „Türkische 
Regierung verhindert Abreise griechischer Reservisten.“ Ferner: „Hier 
macht sich ein starker Antigonismus zwischen Rußland und Österreich 
bemerkbar. Von russischer Botschaft wird behauptet und von den 
Türken teilweise geglaubt, daß Österreich ein Doppelspiel treibe. Mark¬ 
graf Pallavicini wirft dagegen Rußland vor, von den Pariser Konferenzen 
der Balkanvertreter gewußt zu haben*). Russischer Militärattache sagte 
mir vertraulich, daß, wenn Österreich Serbien angreife**), die russische 
Regierung sofort von der öffentlichen Meinung debordiert und zum 
Eingreifen gezwungen sein würde3).“ 
Von anderen Orten liegen heute keine Telegramme vor. 
Kiderlen. 
Randbemerkung Kaiser Wilhelms II.: 
*) Wie die Nachricht aus Rom besagt unter Vorsitz des Großfürsten? Dann hat 
der Besuch in Nancy u(nd) Toul die symptomatische Bedeutung gehabt, daß der Gro߬ 
fürst, von den Absichten der Balkanstaaten informiert, die Hoffnung hat, Österreich 
werde gegen Serbien losschlagen, dieses Rußland zum Eingreifen bringen, dadurch für 
uns den causus foederis auslösen, in welchem Falle Gallien von rückwärts über uns 
sofort herfallen soll. Um den gallischen Mut zu stärken, den Haß zu schüren, ist die 
ganze Affäre an unserer Grenze inszeniert worden. Dann war sie keine Komödie mehr, 
sondern Vorbereitung zu bitterem Ernste. 
**) Dazu liegt gar kein Grund vor! 
Nr. 636. 
Aufzeichnung Kaiser Wilhelms II., z. Z. in Rominten.4) 
Reinschrift. 
Rominten, den 4- Oktober 1912. 
Die ewige Betonung des Friedens bei allen Gelegenheiten — passenden 
und unpassenden — hat in den 43 Friedensjahren eine geradezu 
eunuchenhafte Anschauung unter den leitenden Staatsmännern und Di- 
1) Die Große Politik. Bd. 33. Nr. 12 216, S. i58. 
2) Telegramm Freiherrn von Wangenheims, Nr. 325 vom 3. Oktober. 
3) Vgl. Aktenstück Nr. 6i5, S.221. Über den Aufenthalt des Großfürsten Nikolaus 
Nikolai ewitsch in Frankreich anläßlich der Manöver, über die von ihm vorgenommene 
Inspizierung der östlichen französischen Grenzfestungen und die deutschfeindlichen 
Demonstrationen seiner Gemahlin Anastasia, vgl. Bd. XXXI, Kap. CCXLVIII, 
Nr. 11 599 nebst Fußnote. 
4) Die Große Politik. Bd. 33. Nr 12 225, S. i65. 
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