es für angezeigt, Sie behufs Ihrer persönlichen Information zu benach¬
richtigen, daß weder die Schaffung eines slawischen Balkanbundes von
uns geplant wird, noch auch die Vorbedingungen und Grundlagen für
einen solchen engen Zusammenschluß Serbiens, Bulgariens und Monte¬
negros tatsächlich vorhanden sind. (?!)
Sie wissen es hinlänglich aus unseren bisherigen Mitteilungen, wie
schwere und weitgehende Differenzen zwischen uns und Bulgarien nicht
nur in bezug auf die Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären
in Mazedonien bestehen, und daß der bulgarische Chauvinismus sich in
der letzten Zeit sogar so weit verstiegen hat, die rein serbischen Gebiete
Altserbiens und selbst einige Distrikte des Königreiches Serbien als bul¬
garisch zu proklamieren und für Bulgarien in Anspruch zu nehmen.
Wie wenig man in den maßgebenden Kreisen in Sofia der Idee eines
Anschlusses an Serbien auf slawischer Grundlage zugetan ist, beweist
neuestens die Tatsache, daß der in der letzten Zeit von einer Gruppe an¬
gesehener serbischer und bulgarischer Persönlichkeiten unternommene
Versuch, eine Annäherung zwischen Serbien und Bulgarien wenigstens
auf ökonomischem Gebiete herbeizuführen, gleichfalls ohne jedes Re¬
sultat geblieben ist.
Was Montenegro betrifft, so ist es Ihnen gleichfalls zur Genüge be¬
kannt, daß König Nikolaus schon seit geraumer Zeit unbekümmert um
Serbien seine eigenen Wege geht und seine Vorteile und Allianzen auch
dort sucht, wo notorisch eine offenkundige Gegnerschaft gegen Serbien
besteht.
Von irgendeiner Solidarität unter den slawischen Balkanstaaten kann
wohl angesichts dieser tatsächlichen Verhältnisse schwerlich die Rede sein.
,Aber selbst in Rußland, welches bisher als der Fahnenträger des sla¬
wischen Solidaritätsgedankens angesehen worden ist, hat die sogenannte
panslawistische Idee ihr früheres Terrain in einem sehr bedeutenden
Maße eingebüßt und ist an ihre Stelle die nationalistische Idee getreten,
welcher gegenwärtig alle leitenden Kreise in Rußland fast ausnahmslos
huldigen. Nur so läßt es sich erklären, wenn sich jetzt zwischen Ru߬
land und Deutschland eine intime Annäherung vollzieht, trotzdem
Deutschland der Bundesgenosse Österreich-Ungarns ist und dessen In¬
vasionspläne in bezug auf die Balkanhalbinsel entweder direkt oder in¬
direkt unterstützt.
Das Königreich Serbien darf sich über den Emst dieser Sachlage
keiner Täuschung hingeben. Es muß sich sorgfältig davor in acht neh¬
men, sich durch alte Schlagworte, welche ihre Bedeutung vollständig
eingebüßt haben, in eine Sicherheit einwiegen zu lassen, die nicht mehr
existiert, oder sich gar dem Wahne hinzugeben, daß jetzt wieder wie im
Jahre 1878 in der Stunde der Gefahr russische Heere zu seinem Schutze
herbeieilen werden. Vielmehr muß Serbien heute um so entschiedener
und energischer seine Pflicht ins Auge fassen, seine nationalen Inter¬
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