Abschrift der betreffenden Meldung des Gewährsmannes1) beehre
ich mich anliegend gehorsamst vorzulegen. vonTschirschky.
Anlage.
Mein Belgrader Berichterstatter hat mir das Resumé einer vertrau¬
lichen Zirkularnote eingeschickt, welche die serbische Regierung an ihre
Vertreter im Auslande versendet hat.
Diese Note sagt in ihren wichtigen Stellen:
ä,,In den Kreisen der europäischen Diplomatie ist vielfach die Meinung
verbreitet, daß zwischen den slawischen Staaten der Balkanhalbinsel
Unterhandlungen wegen der Schaffung eines Balkanbundes auf slawi¬
scher Grundlage stattfinden, und daß in dieser Beziehung zwischen Ser¬
bien, Bulgarien und Montenegro bereits ein vollständiges Einvernehmen
erzielt worden ist. Im Anschlüsse hieran besteht in der europäischen
Diplomatie die Mutmaßung, daß von seiten der russischen Regierung
diese Kreierung eines slawischen Staatenbundes auf der Balkanhalbinsel
gefördert wird, und daß die neue slawische Gruppierung sich unter dem
Protektorate Rußlands befindet 2).
Nachdem dies dazu ausgenützt wird, um nicht nur Griechenland und
Rumänien, sondern auch die Türkei und andere Mächte mit Mißtrauen
und Feindseligkeiten gegen uns zu erfüllen, und hieraus unserem spe¬
ziellen Interesse ernste Schädigungen erwachsen können, so erachten wir
Staatssekretär von Kiderlens an König Karol von Rumänien vom i5. April 1912 her¬
vorgeht, bereits genaue Kenntnis von dem serbisch-bulgarischen Vertrage. Die fast
wörtliche Übereinstimmung des Kiderlenschen Briefes mit den Telegrammen Sasonows
vom 3o. März läßt darauf schließen, daß deren Text in Berlin nicht unbekannt' ge¬
blieben ist. Den Wortlaut des bulgarisch-serbischen Vertrages vom i3. März 1912
nebst Geheimklausel und der gleichzeitig abgeschlossenen Militärkonvention siehe bei
Boghitschewitsch, Kriegsursachen. S. 129 ff.
1) Siehe Anlage.
2j Daß dies tatsächlich der Fall war und daß sämtliche russische Balkandiplomaten
auf das Ziel eines unter dem Protektorat Rußlands stehenden Balkanbundes lossteuer¬
ten, ergeben die bei v. Siebert, Diplomatische Aktenstücke a. a. 0., S. i37ff. zu¬
sammengefaßten Schriftstücke. Es fehlte allerdings nicht ganz in der russischen
Diplomatie an Männern, die angesichts der Uneinigkeit der Balkanvölker einer öster¬
reichisch-russischen Verständigung das Wort redeten. Vgl. z. B. den Bericht des Bot¬
schafters in Wien N. v. Giers vom i5. Februar 1911, der unter Berufung (auf die
gleichartige Auffassung des russischen Botschaftsrates Swjetschin in Konstantinopel im
Hinblick auf die Unerreichbarkeit der Vereinigung aller slawischen Nationalitäten für
ein österreichisch-russisches Balkanübereinkommen plädiert. Bemerkenswert ist das
überaus scharfe Urteil, das Giers über die Serben und ihre Beziehungen zu Österreich
fällt: „Die schwache Seite der Serben ist ihr beständiges Bedürfnis politischer Intrigen,
eine Unmenge der allerunwahrscheinlichsten Nachrichten, die ausschließlich den Zweck
verfolgen, keine guten Beziehungen Rußlands zu denjenigen Mächten zuzulassen, mit
denen Serbien selbst in schlechten Beziehungen ist. Die ganze Atmosphäre Belgrads
ist mit ungerechtfertigter Empfindlichkeit und Erregung gesättigt. Die serbische Regie¬
rung ^vill nicht zulassen, daß Rußland auf irgendeiner Grundlage ein Übereinkommen
mit Österreich abschließt; wenn nicht die serbische Regierung, so lenkt der serbische
Generalstab unsere Aufmerksamkeit auf die allerverräterischsten Absichten Öster¬
reichs.“ Vgl. Aktenstück Nr. 5i6, S. 127.