Nr. 5a3.
Der Gesandte in Sofia von Below-Saleske
an das Auswärtige Amtx)
Telegramm: Entzifferung.
Nr. 22. Sofia, den 3o. September 1911.
Italienischer Gesandter1 2) hat heute hiesiger Regierung von der seitens
Italiens an die Türkei erfolgten Kriegserklärung3) offiziell Kenntnis ge¬
geben.
In Vertretung Geschows4) erklärte Finanzminister Theodorow dem
1) Die Große Politik. Bd.33. Nr. 12 033, S.3.
2) Graf Bosdari.
3) Vgl. dazu Bd. XXX.
4) Der bulgarische Ministerpräsident und Minister des Äußern Geschow, der beim
Ausbruch des italienisch-türkischen Krieges in Vichy weilte, nahm auf der sofort an¬
getretenen Rückreise die Gelegenheit wahr, um sich am 4- Oktober bei dem französi¬
schen Außenminister de Selves und am 7. Oktober in Wien bei Graf Aehrenbhal zu
erkundigen, ob der Krieg lokalisiert bleiben und nicht Komplikationen auf dem Balkan
zur Folge haben würde. Auf die Mahnung des Grafen Aehrenthal, daß Bulgarien das
Beispiel der großen Mächte befolgen und sein Möglichstes tun möge, um den Frieden
zu bewahren, erging sich Geschow in Versicherungen der bulgarischen Friedensliebe.
Das hinderte ihn jedoch nicht, noch in Wien einen tätigen Anteil an den Verhand¬
lungen zu nehmen, die inzwischen sein Stellvertreter Theodorow mit Serbien behufs
Bildung eines Balkanblocks begonnen hatte, und zwar, wie Geschow am 8. Oktober zu
dem russischen Botschafter in Wien Nikolaus yon Giers sagte, auf energisches Be¬
treiben der russischen Vertreter in Sofia und Belgrad hin. Über Geschows Stellung¬
nahme meldete Giers am 8. Oktober nach Petersburg (Diplomatische Aktenstücke zur
Geschichte der Ententepolitik der Vorkriegsjahre ed. B. v. Siebert, S. IÖ2): „Ge¬
schow gibt sich vollkommen Rechenschaft, daß ein derartiger Balkanblock, in diesen
unruhigen Zeiten gebildet, Österreich gegen Bulgarien und Serbien aufbringen muß,
und hinter Österreich würden in diesem Falle Rumänien und die Türkei stehen. Ehe
er sich zu einem solchen Schritt entschließt, möchte Geschow wissen, auf welche Garan¬
tie von seiten Rußlands Bulgarien rechnen könne.“ Die Antwort Giers, die zwar die
Beobachtung der strengsten Neutralität als das allgemeine Interesse Rußlands hin¬
stellte, aber doch jede Annäherung der Balkanstaaten begrüßte und wegen der Frage
der Garantien auf die russischen Vertreter am Balkan als die kompetenten Organe für
solche Verhandlungen verwies, scheint von Geschow als eine Ermutigung zu weiterem
Vorgehen aufgefaßt worden zu sein. Jedenfalls trat er auf seiner Weiterreise am
11. Oktober selbst in Verhandlungen mit dem serbischen Ministerpräsidenten Milowano-
witsch über den Abschluß eines bulgarisch-serbischen Vertrages, der unter anderem
eine „alliance offensive contre la Turquie en vue d’affranchir la Macédoine et la
Vieille Serbie dans les circonstances jugées propices par les deux parties“ in Aussicht
nahm. Der serbische Ministerpräsident verlangte in dieser Unterredung ungeniert die
Aufteilung der befreiten Gebiete unter Serbien und Bulgarien und die Liquidation der
Türkei überhaupt; ja er zog bereits den Zerfall Österreich-Ungarns in den Kreis seiner
Berechnungen: „Ah oui! Si, en même temps que la liquidation de la Turquie, la
désagrégation de l’Autriche-Hongrie pouvait survenir, la solution serait grandement
simplifiée: la Serbie obtiendrait la Bosnie et l'Herzégovine, comme la Roumanie
obtiendrait la Transylvanie.“ Aber gerade die großen Ansprüche Serbiens verhinderten,
daß die Verhandlungen zwischen Bulgarien und Serbien, mit deren Fortführung Ge¬
schow von König Ferdinand beauftragt wurde, so bald zum Abschluß kamen. Erst als
die russischen Vertreter in Sofia, die immer wieder zum Abschluß drängten, damit
drohten, daß Rußland sich sonst das Recht wahren müsse, nach seinen Interessen zu
handeln, kam es am i3. März 1912 zur Unterzeichnung des Vertrages, der die Grundlage
des späteren Balkanbundes wurde. Vgl. für die ganze Genesis des Vertrages vom i3.März
das aufschlußreiche Werk von Geschow (Guécboff) L’Alliance Balkanique p. i4ss.
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