eines serbischen Angriffs nicht die Macht besitzen, um sich daselbst zu
behaupten. Milowanowitsch ist der Meinung, daß nur die Zustimmung
Österreichs zur Aufteilung des Sandschaks unter Serbien und Monte¬
negro den Beweis dafür liefern könnte, daß die Habsburger Monarchie
keine weiteren Eroberungspläne auf dem Balkan hat. Denn, wenn auch
Österreich seine Truppen aus dem Sandschak zurückgezogen habe, so
sehe man bis jetzt noch nichts, was die Schlußfolgerung gestatte, daß
es bereit sei, für alle Zukunft auf ihn zu verzichten. Nichtsdestoweniger
mußte mir Milowanowitsch darin beistimmen, daß der gegenwärtige
Augenblick nach dem Abschluß des Abkommens von Racconigi, das die
Erhaltung des status quo auf dem Balkan zum Ziele hat, für eine erneute
Aufrollung der heiklen Sandschakfrage kaum geeignet sei. Wie ich in
der Konsulta gehört habe, berührte er in seinem Gespräch mit Tittoni
die Sandschakfrage nicht, obwohl er sie bei seiner Unterredung in Lon¬
don sowie mit Pansa1) in Berlin erwähnt hatte. Zum Schluß äußerte
Milowanowitsch seine Befriedigung über die bevorstehende Zusammen¬
kunft mit Ihnen, wenn er Anfang Dezember den König Peter nach
Rußland begleiten wird.
Korff.
Nr. 5o6.
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen
Amtes Freiherrn von Schoen.* 2)
Abschrift.
Berlin, den 2З. November 1909.
Der italienische Botschafter sagte mir, aus der ihm abschriftlich
zugegangenen Korrespondenz zwischen Herrn Tittoni und dem Herzog
von Avarna habe er entnommen, daß Graf Aehrenthal in der Tat nicht
angenehm davon berührt gewesen, daß in Racconigi3 8) zwischen Herrn
Iswolski und Herrn Tittoni davon gesprochen worden, „für den Fall,
daß der status quo im Balkan nicht aufrechterhalten werden könne,
de favoriser le développement des Etats Balkaniques d'après le principe
des nationalités“.
x) Italienischer Botschafter in Berlin.
2) Die Große Politik Bd. 27 (I. Hälfte), Nr.9733, S. i64-
3) Über den Besuch des Zaren in Racconigi (24. Oktober) und die dort gepflogeneu
italienisch-russischen Verhandlungen siehe Kap. CCXIV. Vgl. auch die Instruktionen,
die Iswolsky am 4- November 1909 den Vertretern Rußlands in Sofia, Belgrad und Ce-
tinje anläßlich der Monarchenbegegnung in Racconigi gab, bei v. Siebert, Diploma¬
tische Aktenstücke, a. a. O. S. 456 f. In ihnen kam doch keineswegs der Grundsatz der
Nichteinmischung, sondern im Gegenteil der Wille Rußlands und Italiens, „das künftige
Schicksal der Balkanstaaten und ihre unabhängige Existenz zu sichern“ zum Ausdruck.
8 Boghitschewitsch, Serbien II.
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