Volltext: Diplomatische Geheimakten aus russischen, montenegrinischen und sonstigen Archiven (Band II 1929)

inwieweit die Worte Rizows der wirklichen Stimmung Milowanowitschs 
entsprechen. Letzterer empfing mich sehr zuvorkommend und teilte 
mir während des etwa einstündigen Gespräches mit, er sei hierher¬ 
gekommen, um den Boden für die Reise König Peters nach Rom vor¬ 
zubereiten, für die möglichst schnelle Verwirklichung des Adriabahn- 
Projekts zu sorgen und schließlich in Erfahrung zu bringen, welchen 
Einfluß die Zusammenkunft in Racconigi auf das Schicksal der Balkan¬ 
staaten ausüben wird. Bei Tittoni, den er schon sehr lange kennt, hätte 
er einen wärmeren Empfang gefunden als je zuvor. „Wir haben Serbien 
die Möglichkeit garantiert, sich mindestens im Laufe der nächsten 
5o Jahre friedlich zu entwickeln und zu festigen. Doch wird unsere 
Hilfe Serbien nur in dem Falle von Nutzen sein, wenn es auch selbst 
an seinem eigenen Ausbau mitarbeitet,“ so sagte ihm Tittoni. Letzterer 
verpflichtete sich auch ihm gegenüber die Garantierung jenes für den 
Rau der transbalkanischen Eisenbahn erforderlichen Teils der Anleihe 
in der Kammer durchzubringen, den Italien übernimmt, und versprach 
ihm auch, daß König Peter nach Abstattung seines Besuches an Seine 
Kaiserliche Majestät den Zaren ein willkommener Gast sein werde. 
Etwas Ähnliches, jedoch in weniger liebenswürdiger Form, mußte Milo- 
wanowitsch auch in Berlin hören, wo man ihm einfach sagte, daß der 
Weg nach Berlin über Wien führe. 
Was die Annäherung zwischen Bulgarien und Montenegro *) anbelangt, 
deren vereinte Streitkräfte eine halbe Million Bajonette ausmachen 
würden — eine zweifellose achtunggebietende Macht, da sie berufen 
wäre, bei sich zu Hause zu operieren —, bestätigte mir Milowanowitsch, 
was ich schon von Rizow gehört hatte. Auch er ist der Auffassung, 
daß der gemeinsame Verzicht auf Eroberungsgelüste in Mazedonien der 
Festigung des Friedens auf dem Balkan dienen könne, doch glaubt er 
nicht an die Dauerhaftigkeit der bestehenden Ordnung in der Türkei. 
Ihren Zerfall betrachtet er als eine Frage der nicht zu fernen Zukunft, 
und deshalb scheint ihm eine Art „pacte de désintéressement“ nur eine 
ausschließlich temporäre Bedeutung haben zu können. Nur ein Ab¬ 
kommen über die Teilung Mazedoniens für den Fall der Liquidierung 
der ottomanischen Herrschaft in Europa könnte seiner Meinung nach 
positive Ergebnisse zeitigen. Er meint, daß es nicht schwer sein dürfte, 
zu einem Abkommen über die Zuteilung von Ländern nicht nur an 
Serbien, Bulgarien und Montenegro, sondern auch an Griechenland zu 
gelangen, die sich durch Stammverwandtschaft zu diesen Staaten hin¬ 
gezogen fühlen. Noch mehr beunruhigt ihn der Gedanke an den Sand- 
schale. Nachdem die Österreicher den letzteren nunmehr verlassen 
hätten, drohe er, ein Herd von Unruhen auf dem Balkan zu werden, 
denn die Türken, für die der Sandschak vorläufig kein Interesse biete, 
und die ihn als eine Art „Zugabe“ betrachteten, würden im Falle 
*■) Soll wohl heißen: Serbien. 
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