Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

Nr. 75. 
Spezial - Delegierter Professor Koschutitsch, Peters¬ 
burg, an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
Telegramm: Petersburg, den 5./i8. März 1909. 
Die an das serbische Volk gerichtete Adresse, die ich gestern durch 
das Pressebüro zugeschickt habe, ist nicht so aufzufassen, als ob die 
öffentliche Meinung Rußlands gegen die jetzige Richtung der russi¬ 
schen Politik empört sei. Alle Russen werden im Herzen ihr Unver¬ 
mögen uns jetzt militärisch zu helfen zugeben, und die Adresse ist für 
uns bloß ein brüderlicher Trost und eine Hoffnung für die Zu¬ 
kunft. Die Gegenwart hängt nicht von Rußland ab, wo sich die ma߬ 
gebenden Kreise vor dem eigenen Schatten fürchten, sondern von Paris 
und London. 
Nr. 76. 
Spezial-Delegierter Koschutitsch, Petersburg, an das 
Ministerium des Äußern in Belgrad. 
Petersburg, den 6./19. März 1909. 
Chomjakow hat mir sehr vertraulich mitgeteilt, daß sich der an 
die europäischen Parlamente gerichtete Appell der Dumamitglieder mit 
den bekannten Ansichten des Zaren über die heutige Lage vollkommen 
decke. In der Audienz, welche am Montag stattfand, sagte ihm der Zar, 
der serbische Himmel sei mit diesem Schlage in schwere Wolken ge¬ 
hüllt, die Situation sei deshalb entsetzlich, weil Rußland 
zum Kriege unvorbereitet sei und die Niederlage Rußlands der 
Ruin des Slawentums wäre; der Zar hat die Empfindung, daß 
der Zusammenstoß mit dem Germanentum in der Zukunft 
unausweichbar sei und daß man sich für denselben vor¬ 
bereiten müsse. Auf die Frage, welcüe Haltung Rußland einneh¬ 
men werde, falls Österreich-Ungarn Serbien überfällt, antwortete mir 
der Präsident der Duma: Wir taten etwas, was bisher kein einziger 
Staat gemacht hat, indem wir vor der ganzen Welt erklärt haben, daß 
wir jetzt nicht imstande sind, Krieg zu führen, doch werden wir jede 
Vergewaltigung Serbiens als den Beginn eines europäischen Brandes 
betrachten, in den wir jetzt nicht eingreifen können; dieser wird 
aber in der Zukunft aufloidern, wenn wir imstande sein 
werden, unsere Stimme in die Wagschale zu werfen. 
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