Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

einem kärglichen Dasein verurteilt sein, bis nicht der Augenblick des 
Verfalles Österreich-Ungarns eingetreten sein wird. Die Annexion habe 
diesen Moment nähergerückt und wenn er eintritt, werde Rußland die 
serbische Frage auf rollen und lösen. Iswolski sieht ein, daß 
der Kampf mit dem Germanentum unausweichbar sei. Die 
Politik Rußlands ist eine rein slawophile. Der Finanzminister spricht 
sich dahin aus, daß Rußland dem Kriege ausweichen müsse, schon aus 
dem Grunde, weil kein Geld vorhanden sei. Stolypin führt aus, daß dies 
auch die Ansicht des ganzen Kabinetts sei, welches mit Iswolski soli¬ 
darisch sei. Das Zentrum und die Rechte beschlossen, die serbische 
Frage in der Duma nicht zu berühren. 
Nr. 66. 
Der serbische Gesandte Simitsch, Wien, 
an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
Wien, den 
27. Februar 
12. März 
I9°9- 
Vorgestern abend hatte ich die Ehre, Ihr Zirkulartelegramm zu er¬ 
halten, welches die Antwort der königlichen Regierung auf die Vor¬ 
stellungen Rußlands und der übrige'n Mächte enthält. Diese Antwort 
teilte ich gestern mittag dem Baron Aehrenthal mit. Nachdem er die 
Note laut vorgelesen hatte, erklärte er, in derselben sei wohl etwas Zu¬ 
friedenstellendes, anderes aber, das nicht zufriedenstelle, enthalten. Jenes 
erstere bestehe darin, daß mit unserer Note die Türe zu weiteren Ver¬ 
handlungen geöffnet werde; jenes andere liege darin, daß in ihr keine 
Antwort auf seine Note enthalten sei, die Ihnen Graf Forgäch zustellte, 
so daß auf diese Weise einige Fragen offen bleiben, was, wie er sagt, 
immerhin eine Gefahr für die Zukunft bilde. Er wünsche, sagte er, 
reine und klare Beziehungen zwischen Österreich-Un¬ 
garn und Serbien, daher nehme er wohl unsere den Signatarmäch¬ 
ten des Berliner Vertrages gegebene Erklärung zur Kenntnis, erwarte 
aber noch eine Antwort der königlichen Regierung auf seine ihr durch 
den Grafen Forgäch überreichte Note und werde seine weitere Haltung 
gegen Serbien erst dann bestimmen, wenn er jene Antwort erhalten 
haben wird. 
Die österreichisch-ungarische Monarchie, welche, wie Baron Aehren- 
thäl sagt, fünfzig Millionen Einwohner zählt, erduldet schon seit 
fünf Monaten unerhörte Beleidigungen und Provoka¬ 
tionen von seiten Serbiens, die keine andere Großmacht 
dulden würde. Trotz alledem wollte, wie der Baron sagt, Österreich- 
Ungarn mit seinem letzten Schritte in Belgrad Serbien die Möglichkeit 
bieten, ohne Demütigung aus einer selbst geschaffenen 
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