Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

haben?'* frag Sir Charles. „Österreich würde dennoch Bosnien und die 
Herzegowina behalten und mit diesen Ländern wie mit annektierten Ge¬ 
bieten verfahren.“ — „Allerdings,“ entgegnete ich, „aber der Unter¬ 
schied wird der sein, daß Österreich Bosnien und die Herzegowina 
rechtswidrig behalten wird. Die Annexion wird, anstatt irreparabel zu 
werden, eine offene Frage bleiben.“ — „Darin liegt gerade die größte 
Kriegsgefahr,“ sagte Sir Charles, „wenn die Frage der Annexion offen 
bleibt, ist eine allgemeine Konflagration sozusagen unvermeidlich.“ — 
„Wie das?*' fragte ich, „nachdem Sie soeben erklärt haben, daß keine 
einzige Macht sich wegen dieser Frage in einen Krieg einlassen werde? 
Weswegen wäre ein allgemeiner Brand wahrscheinlicher, wenn die bos¬ 
nische Frage offen bliebe?“ — „Wegen der Türkei,“ erwiderte Sir 
Charles. — „Sie glauben also,“ bemerkte ich, „daß die Türkei wegen 
Bosniens früher oder später Krieg führen und in diesem Falle die be¬ 
waffnete Intervention einer andern Großmacht unvermeidlich sein 
würde?*' — „Hierüber zu diskutieren,“ meinte Sir Charles, „ist vor¬ 
läufig unnötig. Die Hauptsache ist, daß im Interesse des allgemeinen 
Friedens die Frage der Annexion möglichst rasch entschieden werden 
muß.'* — Nach dieser letzten Antwort wollte ich die Diskussion nicht 
fortsetzen, sondern erklärte nur folgendes: „Wir hoffen, daß der Stand¬ 
punkt der englischen Regierung bezüglich der Notwendigkeit einer ra¬ 
schen Lösung der Annexionsfrage (welche auch Sir Edward Grey anlä߬ 
lich einer gestern von ihm in einer Stadt im Innern des Landes gehal¬ 
tenen Rede betont hat) nicht bedeutet, daß die englische Regierung diese 
Frage um jeden Preis von der Tagesordnung abzusetzen wünscht. 
Wir rechnen im Gegenteile darauf, daß uns England auch fernerhin 
seine diplomatische Unterstützung angedeihen lassen wird, im Sinne 
der Herrn Milowanowitsch gegebenen Versicherungen. Denn diese Un¬ 
terstützung ist noch das einzige Mittel, Österreich zur Nachgiebigkeit zu 
bestimmen. Man darf auch nicht vergessen,“ sagte ich, „daß die Anerken¬ 
nung der Annexion schlechthin ohne sachliche Garantie für uns in Ser¬ 
bien die größte Erbitterung hervorrufen und fast unvermeidlich einen 
Krieg verursachen würde.“ 
Nr. 36. 
Der serbische Gesandte Popowitsch, Petersburg, 
an das Ministerium des Äußern in Belgrad. 
Petersburg, den i3./2 0. November 1908. 
Der englische und französische Botschafter haben ebenfalls pessimi¬ 
stische Informationen über die Einberufung der Konferenz. Der erstere 
verliert noch nicht die Hoffnung und hält die Konferenz für nützlich,
	        
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