Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

heute so wichtig und interessant, daß ich mich verpflichtet fühle, Ihnen 
das, was ich über jene Beziehungen erfahren habe, zur Kenntnis zu 
bringen, selbst auf die Gefahr hin, daß für Sie nichts Neues darin ent¬ 
halten sein sollte. 
Die ernsten Stunden, welche wir jetzt erleben, gestatten mir nicht, 
Ihnen über die eingetretene Abkühlung zwischen dem russischen und 
dem montenegrinischen Hofe ausführlicher zu sprechen. Für heute ge¬ 
nügt die Tatsache, daß diese Beziehungen sehr kühle sind und daß der 
Zar Nikolaus vor zehn Tagen im Wege seines Gesandten in Cetinje an 
den montenegrinischen König eine sehr ernste Warnung zukommen ließ, 
indem er ihm deutlich zu verstehen gab, daß er die Interessen Monte¬ 
negros und der Montenegriner von denen König Nikolaus’ und seiner 
Dynastie scheide und König Nikolaus den Vorwurf mache, daß er 
schädlichen und schlechten Ratschlägen zugänglich sei (eine Anspielung 
auf die Tochter Nikolaus’, die Großfürstin)1). König Nikolaus kränkte 
sich sehr über diese Botschaft, welche wörtlich so lautet, wie oben an¬ 
gegeben. Nach langer Überlegung wurde mit jemandem aus der Um¬ 
gebung des Königs, der in einem freundlichen Sinne gehaltene Wortlaut 
der Antwort an den Zaren verfaßt. Es hat den Anschein, daß sich die 
Großfürstin, die sich augenblicklich in Cetinje befindet, in die Sache 
eingemischt habe. Die vorbereitete Antwort wurde vernichtet und der 
König verfaßte unter dem Einflüsse der Großfürstin eine andere, welche 
er seinem Ratgeber nicht einmal zeigte. Diese Antwort muß sehr un¬ 
politisch gehalten gewesen sein, denn sie trug zweifellos bei den defini¬ 
tiven Entscheidungen des Zaren und der russischen Regierung in bezug auf 
Schkodra und auf die Entsendung der europäischen Flotten in montene¬ 
grinische Gewässer bei. Die Botschaft des Zaren ist anscheinend vor¬ 
wurfsvoll gewesen und hat auf König Nikolaus niederschmetternd ge¬ 
wirkt. — Laut meinen früheren, sehr verläßlichen Informationen herrscht 
in Montenegro allgemein die Neigung zu einem engeren Anschlüsse an 
Serbien; heute wird in diesem Sinne offen gesprochen, ja selbst mit 
dem König und Thronfolger, ohne daß dies übel aufgenommen werden 
würde. Sowohl der eine wie der andere waren noch vor acht Tagen in 
dieser Hinsicht auf gutem Wege und es hatte den Anschein, als wären 
sie entschlossen, sich der allgemeinen Strömung des Volkes nicht zu 
widersetzen, wenn auf sie nicht in energischster und eindringlichster 
Weise aus Wien eingewirkt worden wäre. Nach meiner Meinung müßte 
man unsererseits diese Stimmung in diskreter Weise erhalten, sich aber 
in diesen Angelegenheiten keineswegs aufdrängen, vielmehr dies der 
normalen logischen Entwicklung überlassen. Falls der montenegrinische 
Finanzminister noch dort ist, wäre es sehr opportun, Montenegro in sei¬ 
nen heutigen finanziellen Verlegenheiten behilflich zu sein. Montenegro 
x) Wahrscheinlich die Großfürstin Militza und nicht die Großfürstin Stana. 
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