Volltext: Geheimakten aus serbischen Archiven (Band I ; 1928)

Aus vorstehenden Erklärungen ist ersichtlich, daß die englische Regie¬ 
rung noch auf dem Standpunkte verharrt, daß die durch die Annexion 
Bosniens und die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens in Fluß ge¬ 
brachten Fragen nur im Wege einer Konferenz erörtert werden können 
und müssen. Gleichwohl läßt sich aus gewissen Anzeichen entnehmen, 
daß die hiesige Regierung bezüglich des Zweckes und des Arbeits¬ 
programms der Konferenz viel nachgiebiger geworden ist, als sie es 
anfangs war. 
Sympthomaitisch in dieser Hinsicht sind die Erklärungen, die mir 
Sir Charles Hardinge gestern gemacht hat. Als ich ihn vor einigen 
Tagen besucht hatte, hatte er mir gesagt, daß eine Diskussion über 
die vollzogenen Tatsachen in der Konferenz notwendig sei; dieselben 
einfach zu sanktionieren könne nicht der Zweck der Konferenz sein, 
weil ja in diesem Falle, wie er sagte, eine Konferenz überhaupt nicht 
nötig wäre. Gestern aber, als ich der zwischen Österreich und der 
Türkei einerseits und zwischen Bulgarien und der Türkei andererseits 
schwebenden Verhandlungen Erwähnung tat, meinte Sir Charles, daß 
man das Ergebnis dieser Verhandlungen ab warten werde, daß jedoch 
auch dann, wenn sie zum Abschluß gelangen sollten, eine Art Konfe¬ 
renz erforderlich sein werde, welche die erzielte 'Verständigung zu 
ratifizieren hätte. 
Im Laufe des Gespräches bestätigte mir Sir Charles Hardinge, indem 
er von den Sympathien der englischen Regierung für uns sprach, 
daß diese Sympathien zwar beständen, aber — fügte er mit besonderem 
Nachdruck hinzu — sie seien nur moralischer Art, worauf ich er¬ 
widerte, daß diese Sympathien Englands sehr kostbar für uns seien, 
weil wir wüßten, daß auch die bloß moralische Unterstützung Eng¬ 
lands für uns praktische Folgen von großer Wichtigkeit und Nutzen 
haben könnte. 
Der türkische Botschafter sagte mir heute, daß er keine Informationen 
über die türkisch-österreichischen und türkisch-bulgarischen Verhand¬ 
lungen von seiner Regierung erhalten habe. Er fügte hinzu, daß be¬ 
züglich der Konferenz und ihres Programms noch nichts festgestellt 
sei und daß es sehr gut möglich sei, daß es überhaupt zu einer Kon¬ 
ferenz nicht kommen werde. Er erklärte, daß die Türkei in ihrer 
heutigen Lage durchaus keinen Krieg mit Bulgarien wünsche. Sie 
würde erst dann in einen Krieg einzutreten genötigt sein, wenn sie 
direkt von Bulgarien herausgefordert und angegriffen würde. 
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